Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,4.1916

DOI Heft:
Heft 20 (2. Juliheft 1916)
DOI Artikel:
Stapel, Wilhelm: Konstantin Frantzens Mitteleuropa und F. W. Foersters Europa
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14294#0078

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
was Foerster will. Im Anschluß daran werden wir unsre eigene ab--
weichende Meinung darlegen.

A^er Ausgangspunkt des Foersterschen Denkens und das Ziel seiner
^Arbeit ist hier wie in seinem übrigen Schaffen das Durchsetzen der christ-
lichen Sittlichkeit in der Welt. Wir dürfen nicht, so sordert er, die Welt
als durch und durch verdorben, als un- und widergöttlich einfach aufgeben
und sich selbst überlassen, nur darauf bedacht, die eigene Seele zu retten,
sondern unsre Ausgabe ist, die Welt aus dem Christusgeist heraus zu
gestalten, Christus zu verwirklichen. Das heißt ihm: wir haben die Selbst-
sucht zu bekämpfen und alle menschlichen Beziehungen auf Liebe, Güte,
Achtung, Ehrfurcht zu begründen. Das gilt ihm für die Beziehungen der
Staaten untereinander so gut wie für die der einzelnen Menschen.

Für das politische Denken Foersters ist der oberste und bestimmende
Begrifs der der Menschheit. Ihm sind schichtweise untergeordnet die
Begriffe Europa, Mitteleuropa, Staat. Die Menschheit will er aus der
Grundlage des gegenseitigen Vertrauens, der Achtung und des Wohl--
wollens rechtlich organisiert wissen. Der europäische Krieg, dem ja estnmal
ein europäischer Friede folgen muß, soll, so wünscht er, ein rechtlich organi-
siertes Europa ergeben. Alle Gedanken und Erörterungen über den Frie-
den wünscht er also aus die Verwirklichung eines solchen einheitlich ge-
stalteten Europas eingestellt. Das Einheitsgebilde Europa ist ihm der
Zweck, dem die Geschicke der Staaten als Mittel untergeordnet werden
müssen. Mitteleuropa faßt er sozusagen als Abschlagzahlung auf die
künftige europäische Rechtsgemeinschaft aus. And die einzelnen Staaten
dürfen sich nicht für souveräne Gebilde halten, die die Welt nach ihrem
Belieben ordnen könnten, sie haben sich vielmehr als dienende Glieder der
großen europäischen Gemeinschaft einzuordnen. Man begreift hiernach,
warum Foerster das Naumannsche Mitteleuropa ablehnt. Nicht weil
er selbst Mitteleuropa nicht wollte, sondern weil Naumann ein Mittel-
europa souveräner Staaten wünscht, das als Gesamtgebilde wiederum den
nicht mitteleuropäischen Staaten souverän gegenübersteht. Naumanns Mit-
teleuropa scheint ihm auf Mißtrauen gegen Feinde, auf Abwehr, Abschluß,
Mächtentwicklung hin gedacht, Foerster aber denkt seines auf Verständigung,
Entgegenkommen, Anschluß, übergeordnetes Recht hin. In einer Vespre-
chung von Naumanns Buch in der „Ssterreichischen Rundschau" bezeichnet
Foerster den „Scheideweg^ so: „Bleiben wir in dem machtpolitisch-militä-
rischen Denken Naumanns stecken, so bedeutet das mitteleuropäische Pro-
gramm nichts anderes, als den in Permanenz erklärten und in immer
größeren Kampfgruppen geführten Weltkrieg. Denken wir uns statt dessen
vor allem in den europäischen Gedanken hinein, in die künftige, doch ganz
unvermeidliche internationale Regelung der verschiedenen heute im Kampf
stehenden Interessen, disziplinieren wir alle unsere Worte und Taten im
Hinblick auf diese Perspektive — dann und nur dann kann Mitteleuropa
ein Ziel mit kulturbildender und Begeisterung erweckender Kraft werden."

Christliche Sittlichkeit als treibende Kraft, eine europäische, darüber
hinaus menschheitliche Rechtsordnung der Staaten als Ziel — mit diesen Ge-

50
 
Annotationen