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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,4.1916

DOI Heft:
Heft 20 (2. Juliheft 1916)
DOI Artikel:
Ullmann, Hermann: Gustav Freytag: zum 13. Juli 1816
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https://doi.org/10.11588/diglit.14294#0090

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übertrieben und nnßbraucht, uns jetzt noch im Weltkrieg viel schadet, er-
spart geblieben. Er erkannte, wie sein ganzes Geschlecht, allzu wenig die
Gefahren und Konflikte, welche der Volkskörper schon in sich trug, er war,
wie auch die Besten damals, zu zufrieden, im Zurnckschauen auf ältere
Zeiten zu behaglich, im Vorwärtsschauen zu vertrauend. Wir wünschten
manchmal Freytags Mahnnngen und Warnnngen um einen Schatten
dunkler, seinen Tadel um einigen Schliff schärfer, seine Kritik um einige
Hiebe unnachsichtiger. Wir Heutigen leiden eben unter dem, was Frey-
tags Zeitgenossen noch in Verhüllung erschien. Das stürmische Zeitmaß des
geschichtlichen Erlebens und die leidenschaftliche Erregung zumal der näch-
sten Gegenwart trennt uns von Freytag, während seine Ruhe doch wieder
nicht weit genug von uns entfernt ist, und nicht hoch genng über uns
steht, nm uns klassisch zu werden. Aber wir brauchen nur die sördernde
Kraft seines gesunden Idealismus auf uns wirken lassen, um zu fühlen:
in so reicher Saat mußte ihm der Keim zu all dem künftigen Amkraut
verschwinden. So bleibt Freytags Beruf auch für uns an unser eigenstes
Erbgut, an unsre von tapferen und zuchtvollen Vätergeschlechtern gesammelte
und geübte deutsche Kraft und Sittlichkeit zu mahnen. Wem jetzt das Ver-
weilen in den „Bildern aus deutscher Vergangenheit", in dieser liebevollsten
Lebensbeschreibung eines Volkes, die einem Volke geschenkt wurde, oder
das Anschauen dentscher Männer- und Frauengestalten aus dem tröstlich-
sten Alltag in den „Iournalisten", in „Soll und Haben", selbst in der
etwas krausen „Verlorenen Handschrift", wem jetzt die deutsche Gläubig-
keit, die aus Freytags Publizistik und seinem Leben spricht, nicht eine
Herzerquickung werden kann, dem ist auf solchem Wege überhaupt schwer
zu helfen.

Auch für uns Heutige und für uns vor allen kann die Schilderung
gelten, die Freytag von der Reife- und Kernzeit seines Lebens gegeben
hat: „In solcher Zeit erscheint das eigne Leben als klein und unwesentlich,
in gehobener Stimmung fühlt der Mensch sich als Teil eines großen Gan-
zen, alles, was in ihm tüchtig ist, wird gesteigert, die Hingabe an eine
große Pflicht ädelt ihm die Gedanken des Tages, alles Tun, seine Hal-
tung. . . . Das ungehenre und in vielen unverständliche Leben der Nation,
welches in gewöhnlicher Zeit nach entgegengesetzten Richtungen dahinflutet,
die einander kreuzen und bekämpfen, erschien zusammengefaßt und dienstbar
der Kraft einzelner Menschen. Das Walten einer ewigen Vorsehung über
den Schicksalen der Nationen und Reiche wurde uns dadurch so verständ-
lich, wie uns sonst eine Menschenseele verständlich ist." And für uns zu-
mal scheint es geschrieben: „Dieser Gewinn, als Einzelner teilzunehmen
an dem politischen Fortschritt des eigsten Staates, an Siegen und Er-
folgen, welche Mößer waren als jede Hoffnung, ist das höchste Erdenglück,
welches dem Menschen vergönnt wird." In diesem Worte aber lebt seine
ganze Persönlichkeit. And so steht er zumal vor uns heutigen Deutschen
nahe und vertraut. ^ni^j HermannAllmann

Eine schöne, sorgfältige Ausgabe der gesammelten Werke erscheint im
Verlag von S. Hirzel, Leipzig und der Verlagsanstalt für Literatur und
Kunst tz. Klemm, Berlin, in zwei Serien zu je 8 Bänden, jede sür
32 Mark. Die erste schon vorliegende Reihe enthält die dramatischen
Werke, die „Ahnen", die politischen und die geschichtlich-literaturkritischen
Aufsätze, die zweite wird „Soll und Haben", die „Verlorene tzandschrift"
und die „Bilder aus der deutschen Vergangenheit^ bringen.

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