Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,4.1916

DOI Heft:
Heft 24 (2. Septemberheft 1916)
DOI Artikel:
Vom Heute fürs Morgen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14294#0320

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Pfähle wetterfest ein und legt die
Granate dann selbst ganz vorsichtig
mitten in den Bannkreis.

G

n meinem Quartier ist keine
zweite Bettdecke für die kalt wer«
denden Nächte aufzutreiben: da
bringt mir mein Bursche aus der
Kleiderkammer nebenan einen hüb«
schen wollenen Damenmantel, der
seit einem Iahre unverschlossen dort
HLngt. Zehn Burschen mögen ihn
in den Fingern gehabt haben, der
elfte erst holt ihn heran, weil der
Leutnant friert. Ich ziehe jetzt aus,
und der Mantel hängt wieder an
seinem Orte. ^

ls bei Dinant die ersten Ge«
fangenen an den Sachsen vor-
überkamen, tuschelte es ein wenig
selbstbewußt unter den Grenadieren.
Da rief einer von ihnen: „Ruhe!
Mschd sagen!" Und gleich ward's
still wie bei der Parade.

G

ie still es hier überall ist! Wer
daheim ein Iahr lang wie ich
das Waschen, die Flickstunde, das
Gewehrreinigen der Mannschaften
„nachgesehen" hat, kennt den kräf-
tigen Ton ihrer Unterhaltung. Hier
mag sich der Mund nicht mehr be-
wegen, als daß das Wort gerade
dem Nächsten verständlich werde.
Auch die klarsten Augen ziehen bei
einer tzeimkehr aus den Gräben eine
Weile die Lider zusammen und blin-
zeln wie geblendet, weil es nun wie-
der eine ganze Sonne gibt, nicht
bloß Fetzen von Tageslicht, Kerzen-
und Holzkohlenglimmen. Wennman
einen von den Heimgekehrten in
dieser Ruhezeit anspricht, zwischen
zweimaliger Todumfangenheit, so
zuckt es um seinen Mund, und in
den Augen, die nach innen gerich-
tet waren, geht ein langsames Er-
wachen vor. Von mir willst du
was? Wirklich? Habe ich denn was
zu geben? War eben da draußen

und habe nur grade mein Leben ge-
rettet, Herzschlag, Gesicht und Ge-
hör! Frage lieber einen andern!

T

/Liner, der seit Anfang draußen
^ist, erzählt mir, daß er fünf Mo-
nate drauf im tiefsten erschrocken sei,
als er plötzlich eine deutsche Frauen-
stimme, die einer Kreuzschwester, ge-
hört. „Wie eine Engelsbotschaft."
So müss' es den Hirten auf dem
Felde geklungen haben, als sie das
„Friede auf Erden" mitten in Frost
und Lebensbedrängnis vernahmen.
smj Ferdinand Gregori

De«tsche Volkheit

ie Ouelle des Fortschrittes in
der Geschichte ist der einzelne
Mensch. Ieder, der energische Le-
benskraft genug mitbekommen hat,,
um in sich die Anlage zu einer har-
monischen Existenz, zu einem leben-
digen Kunstwerke zu spüren, tritt
eben durch dies Gefühl in Gegen-
satz zu der ihn umgebenden, das
heißt, ihn einengenden, hemmenden,
sich selbst entfremdenden Welt: er
nützt der Geschichte dadurch, daß er,
je voller er sich aus- und sreilebt,
Mittelpunkt für andere wird und
weiteren Kreisen wenigstens einen
stärkeren oder schwächeren Abglanz
seines inneren, nirgends als in ihm
leuchtenden Lichtes übergießt: jeder
Mensch soll eine Vermehrung des
Besitzes der Menschheit sein und
nebenbei auch eine Vermehrung die-
ses Besitzes bewirken. Wer immer
in der Geschichte förderlich gewesen,
ist zuerst Ketzer und Störenfried,
danach eine kurze Weile großer
Mann und schließlich trivial ge-
wesen. Es muß jedem Volke daran
liegen, alle irgend auftauchen-
den Ketzereien sofort in einen
Brennpunkt zu sammeln: denn in
diesen Ketzereien, noch genauer ge-
sprochen, in den Personen der
Ketzer, liegt die Gewähr des Fort-

273
 
Annotationen