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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,1.1916

DOI Heft:
Heft 5 (1. Dezemberheft 1916)
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Vom kostbaren schönen Buch: auch etwas vor Weihnachten
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https://doi.org/10.11588/diglit.14295#0278
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Vom kostbaren schönen Bnch

Auch etwa- vor Weihnachten

^^rinnern sich die ältesten Kunstwartleser noch unsrer Turniere rnit
R^^den Rittern vom »Prachtwerke" ? Das Prachtwerk war vor einem
^^Vierteljahrhundert dasjenige Buch, das der Deutsche, erstaunlich
zu sagen: kaufte, erstaunlicher: kaufte, obgleich es teuer war, am er«
staunlichsten: kaufte, obgleich er es niemals las. Er konnte es gar nicht
lesen, denn es war ein zum Stöhnen gewichtiger Wälzer, der sich höchstens
vor einem Meßbuchpult augentechnisch bewältigen ließ. (Ls hatte auch
nicht den Zweck, gelesen, es hatte den, verschenkt zu werden. Dem es
geschenkt ward, der sagte: »rrein, ist das aber schön", streichelte den Ein»
band, warf einige Blicke auf die Bilder von Thumann oder wer gerade
daran war, und, da dieses nicht weiter aufhielt und der Text gleichgultig
war, so trug er das Prachtwerk zum Salontisch. Dort lag es dann nicht
nur im Zahnarzt-Wartezimmer, sondern überhaupt, und strahlte. Denn
es war ausgestattet, nicht zu sagen, wie herrlich! Gebunden in Leder,
besonders rotes, aus Kaliko, mit garantiert musterbuchechten Metall«
Fassungen und Spangen, die nicht immer nur aufgedruckt, sondern in
den feinsten Fällen aufgeklebt waren, aus Goldpapier. Außerdem war
oft darauf ein Gemälde zu sehn, wie man in keiner Papeterie ein schöne»
res fand. Kein Wunder deshalb: Kam im tzerbste das fällige diesjährige
Prachtwerk heraus, so ging im deutschen Zeitungswalde und in den Weih«
nachtskatalogen ein Tirillieren an, als wäre nicht Weihnachten sondern
Pfingsten vor der Tür. Bämlich: die das Prachtwerk gemacht hatten, sie
inserierten bis ins fernfte, stillfte Tal, und außer dem köstlichen Gebilde selbst
stimmte das hinten vom Änzeigenteile her die Leyern im Vorderhause hell.

Gottlob, die Prachtwerke sind wir ziemlich los. Und langsam hat sich
das entwickelt, was sie vorgaben zu sein und niemals waren: das kost«
bare schöne Buch. Das Prachtwerk von ehedem war die Geldspekula-
tion eines Verlegers, und sein eigentlicher Verfasser der Buchbinder. Ls
mußte auf verhältnismäßig großen Absatz rechnen und auf schnellsten
Absatz, denn auch geschäftlich hatte es nur Nouveaute-Wert: übers Iahr
ward es abgelöst. Das kostbare schöne Buch dagegen rechnet auf den
Bücherfreund, der ein Buch als Gabe der angewandten Kunst versteht und
darum so lange genießt wie es ist. Auch ein billiges und ganz einfaches
Buch kann schön sein; das ist ja eine der erfreulichsten Erscheinungen der
letzten Zeit, daß sie uns auch einfache schöne Bücher sogar in stattlicher
Zahl bringt. Ietzt vor Weihnachten aber möcht' ich die bemittelten unter
unsern Lesern bitten, auch dem kostbaren schönen Buche bei seiner
Verbreitung zu helfen.

Immerdar wird ohne jeden Vergleich die wichtigste Aufgabe aller
Schriftenverbreitung die sein: daß möglich gute Literatur von möglichst
vielen für sie Gereiften möglichst innerlich aufgenommen werde. Aber
deshalb ist das kostbare schöne Buch doch mehr als ein Gegenstand der
Freude am Außerlichen. ^Das Druckwerk als solches" bedeutet ja nicht
etwa: ein beliebiges möglichst gefälliges Gebilde aus bedrucktem Papier.
Das künstlerisch schöne Buch ist auch Ausdruck, und zwar Ausdruck
von zweierlei. Zunächst: des Verhältnisses dessen, der es Herausgibt,
zum Leser. Er muß dessen Geschmack verstehn, also selber ein Mann von
Geschmack sein, sein Buch alS sein Gesandter muß zum Leser kommen,

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