Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,1.1916

DOI Heft:
Heft 5 (1. Dezemberheft 1916)
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Cant und Geschäft: wieder etwas zum Thema "Das Bild in der Weltlüge"
DOI Artikel:
Heuss, Theodor: Ueber Friedrich List: zum 20. November
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14295#0288
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Betrachten wir nun das Bildchen aus „Le Rire". Mitten im Text
solch eine Karikatur auf die deutschen Räuber. (Li, dachten wir: ein Hetz»
würzchen gehört ja zum französischen Geistesmahl heute so selbstverständ-
lich, wie der Pfeffer auf einen wohlgedeckten Tisch. Aber wenn man näher
zusieht — wird das Papier „Zig-Zag" empfohlen. Also eine bezahlte
Reklame mitten im Text? Aber eine „patriotische"! Da ist Geschäftslumperei,
doch nicht eigentlich „Cant" dabei. Doch wie steht es dort, wo das Höchste
und Heiligste, was angeblich besonders das britische tzerz bewegt, zu höchst
irdischen Zwecken benutzt wird? Man blicke auf unser nächstes Bild,
das wir leider nach einer recht schlechten Vorlage vervielfältigen müssen.
Ia, die Gerechtigkeit, die wird leuchtend kommen: „deathleß midst death,
with stern, unbanded eyes, will she, unconquered, from the flames arise".
tzerrlich, wie sie zornsprühenden Auges zu den brennenden belgischen
Städten mit gezogenem Schwerte zur Befreiung eilt, wo ja freilich ihrer
Zeit die britischen Scharen uusgeblieben sind. Das Ganze aber zeichnet
Iohnnie Walker „geboren ^820 und immer noch stramm", nämlich die
Reklamefigur der Firma Iohn Walker ^ Sons Ltd., Scotch Whisky
Distillers. Und eine ganze Folge solch hochheiliger Entflammungen ist
von ihm da, leuchtend wie der Rum auf Plumpudding —, alle mit-
einander als Schnapsreklame.

Die Franzosen sind bekanntlich feiner. Das sieht man sofort an dem
großenKlebeplakat „Das Scheusal", dem die Alliierten im Rachen nachsehn,
was es wohl drin hat. Was diese Leistung der Kunst empfiehlt, weiß
ich nicht. Ein Mundwasser? Aber nett ist der Ogre-Boche eigentlich
doch, daß er nicht zubeißt. Es fällt uns oft bei diesen Zerrbildern auf,
daß sie schief werden, sobald man ihre eigene Vorstellung nur um
eine kleine Linie weiter denkt.

Rnser letztes Bild aber ist gerade. Da ist rm Bündnis mit dem Ge-
schäftsneid die halluzinierende Wut. Ein Plakat, das zum Besuch der
Lyoner Messe einladen sollte, zur Konkurrenz gegen die Leipziger. Ein
Plakat, das zur Warenbestellung Stimmung durch die politische und
menschliche Verleumdung macht. Man weiß eben, wozu die Weltlüge
taugt und weshalb man sie aller Enden immer neu anheizt! A

Lleber Friedrich List

Zum 20. November

/^^iebzig Iahre trennen uns von Lists Tod. Am 30. November
(^^gab er seinem gejagten, gequälten und doch so schöpferischen Leben
^>^das gewaltsame Ende. Das Grab in Kufstein umschließt ein Stück
der Tragik, von der die Geschichte des deutschen Werdens begleitet ist; wir
sind wehrlos gegen die schmerzliche Scham, die sich je unb je dem Gedächtnis
dieses dunklen Ausgangs beimischt. Und es hilft wenig, daß wir der
Enge des Vormärz das Schuldig sprechen.

Daß List zu einer tragischen Erscheinung unserer Vergangenheit werden
konnte, lag nicht an inneren Schwierigkeiten und tzemmungen des Men-
schen. Er war im Grunde seines Wesens eine heitere, fast naive Ratur,
von fabelhafter Arbeitskraft und Schaffenslust, sorglos, unbefangen, von
einer großartigen und freilich gefährlichen Wahrhaftigkeit. Der zahllosen
Enttäuschungen wurde er tzerr, wo immer ein neues Ziel die Freude am
Entwerfen und tzandeln spannte, und erst später, als zu den ewigen

23^.
 
Annotationen