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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,1.1916

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Heft 6 (2. Dezemberheft 1916)
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Stapel, Wilhelm: Schnitzaltäre
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Stapel, Wilhelm: Der Wanderer zwischen beiden Welten
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https://doi.org/10.11588/diglit.14295#0343
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mit Lhren Augen sehn, mit ihren Gefühlen Irdisches und Himmlisches er»
greifen. Das Erbe, das in uns schlief, blüht auf wie im Volkslied beim
Hören, im Volkstanz beim Sich-Vewegen so in der Volkskunst beim An-
schaun. Und wir werden in solcher Abung reicher, tiefer, bestimmter,
denischer. Wilhelm StapeL

Der Wanderer zwischen beiden Wetten

D^H^nter diesem Litel hat Walter Flex seinem im Kriege gewonnenen,
^ I in Rußland gefallenen Freunde, dem Theologiestudenten und Leut»
^^nant Ernst Wurche, ein Büchlein gewidmet, das die kurze Geschichte
ihrer Freundschaft erzählt. (Beck'sche Verlagshandlung, München. (06 Sei-
ten. 2,50 M.) Wurche war Wandervogel, einer von denen aus der „neuen
Iugend", die draußen im Feld ihren reinen, freien Sinn zwischen den
beiden Welten des Lebens und des Todes bewahrt haben. Hier haben
wir ein feines, mit warmer Freundschaft geschriebenes Bild eines ihrer
Vertreter — eines, denn Wurche gehörte nicht zu den vielgenannten
Führern der „Bewegung", er war nie hervorgetreten, er war „einer unter

vlLLen".

FLexens Büchlein schildert nicht nur einen Wandervogel, es zeugt selbst
von dem Besten der Wandervogelart: klare, feste Erzählung, gute Natur»
beobachtung, wache Empfindung für Naturstimmungen, Sehnsucht nach
Schönheit Leibes und der Seele, Verständnis für Führereigenschaften,
Aufgelegtheit zu Scherz auch im Angesicht des Todes, Innigkeit und
Zurückhaltung. Aus all dem heraus stellt Flex das Bild des Freundes
hin, so daß wir den Toten lieb gewinnen.

Wollte man dieses Wirklichkeitszeugnis ästhetisch beurteilen, so wäre
auszusetzen, daß, nachdem der Tote mit der Sonnenblume in der gand,
mit tzelm und Seitengewehr in das Feldgrab unter den Linden gebettet
ist, Erzählung und Betrachtung noch allzu lange weitergeht. Das Bild
des Toten steht uns so lebhaft vor der Seele, daß wir auf das Folgende
nur noch halb hören. Zwar sind manche Schönheiten darin, wie die
Erzählung von der Uhr des Gefallenen. Aber im Ganzen ist der Schluß
mit den eingestreuten Gedichten zu vielfältig und lang geraten, man wünscht
ein entschlosseneres Ende.

Doch es erscheint fast banal, vor diesem Freundschaftsdenkmal, das
„ohne Kunst^, aber nicht ohne künstlerische Kraft hingestellt ist, ästhetisch
zu reden. Genug: es macht uns warm. Der Dank für den frühen Tod
ist, daß durch dieses Buch ein kurzes, reines Leben in der Iugend weiter-
leben und, wir wünschen es, auch weiterzünden wird unter künftigen
Geschlechtern.

Wir bringen im folgenden einige Stücke als „Lose Blätter". St.

^vls die Sonne am höchsten stand, gingen wir aus dem Schatten der
^roten Föhren zu den Nettawiesen hinunter. Die Sonne badete im
tiefsten Blau des vom Bachtgewitter erfrischten tzimmels und überspiegelte
mit seuchtem Glanze die hellschimmernden Flußwindungen und den fern
in stählernem Blau aufblendenden Schild des Sajno-Sees. Das Licht
troff durch das vollsaftige Grün der strotzenden Pappeln und Weiden, und
über dem wuchernden Gras der weiten Koppeln flimmerte die Luft und
zitterte unter dem Atem der erwärmten Erde. Wir warfen die Kleider

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