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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,4.1917

DOI Heft:
Heft 20 (2. Juliheft 1917)
DOI Artikel:
Heiß, Hanns: Frau von Staël: hundert Jahre nach ihrem Tod
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https://doi.org/10.11588/diglit.14298#0084

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poleons kleinliche Äuälerei, die ihr neue Freunde warb, die sie überall,
wo inan ihm zu trotzen wagte, mit fürstlicher Auszeichnung empfangen
lietz, in Rußland, Schweden, England noch zuvorkommender als in Deutsch--
land, und die ihr zwischeu (800 und (8(^, in schlimmer Trübsal tröstend,
den Glauben vorspiegelte, eine Macht zu sein, mit der das Kaiserreich im
Krieg lag.

Sie war eine Feuerseele und trotz ihren weiblichen (Ligenschaften mehr
Mann als Weib. Staatsmann, Diplomat oder tzerrin auf einem Thron
wie Maria Theresia und Katharina II. konnte sie nicht sein. So trieb sie
sich hinter den Kulissen herum, versuchte vom Salon aus die Welt zu leiten,
verzettelte ihren Tatendrang in unterirdischem Politisieren, oft einflußreich,
oft gefürchtet, immer rastlos, unbändig und so wenig behutsam in ihrer
Leidenschaftlichkeit, daß sie manchmal der eigenen Partei verdächtiger wurde
als der gegnerischen und daß sie, deren Wollen nicht immer sehr klar,
aber immer von reiner Güte und Redlichkeit eingegeben war, ringsum An-
stoß erregte, Mißtrauen wachrief, nach Waterloo ebenso wie in der Revo-
lution und am tzofe Ludwigs XVI.

Wie andere Tatmenschen, denen das Taten versagt bleibt, warf sie sich
in die Literatur. Und sie machte ihre Literatur wie ihre Politik, im Salon,
immer die Weltdame, die von Zerstreuung zu Zerstreuung gleitet. Sie
schrieb ihre Bücher nebenbei nieder, wenn sie ein paar leere Minuten
fand, während man sie frisierte, beim Frühstück, in Gesellschaft an eine
Kaminecke gelehnt. (Lin Buch reifte in ihr, soweit dabei von Reifen die
Rede sein kann, während sie zuhörte und selber plauderte, immer mehr
plaudernd als zuhörend, zapplig, mit nervöser Gebärde das unvermeidliche
Papierstückchen oder Zweiglein in den Fingern rollend (wenn sie heute
lebte, wär es wohl eine Zigarette). Als halbes Kind schriftstellerte sie schon,
noch auf dem letzten Krankenlager diktierte sie, und so entstand ein Werk
von vielen Bänden, das in jedem Teil von ihrer ungewöhnlichen Bildung
und Gescheitheit, von der Melseitigkeit ihrer Interessen, von ihrer geistigen
Beweglichkeit, aber auch von der Vornehmheit und Lauterkeit ihrer Gesin-
nung Zeugnis ablegt. Darunter ist Politisches und Zeitgeschichtliches,
Asthetisches, Soziologisches, Ethisches, dann eigentliche Literatur, so zwei
Romane, über die einst Tränenströme der Rührung flossen. All das ist
geistreich, fesselnd, hat Anregungen ausgesät. Aber nur ein Buch ist ge-
blieben, ihr dauerndes Denkmal: vs l'VllsmnAus.

Lnde ^803 kam Frau von Stael nach Deutschland, über Franksurt nach
Weimar und Berlin, das sie im April (80H wieder verließ. Sie reiste
nicht unvorbereitet. Seit (750 etwa war Deutschland den Franzosen nicht
mehr ganz so sagenhaftes Barbarenland wie früher, man hatte die deutsche
Literatur bereits entdeckt, ein paar Iahre lang sogar mit Modebegeisterung
für sie geschwärmt, wahllos deutsche Schriftsteller übersetzt und gelobt und
zum mindesten Geßner und Goethes Werther in angenehmer Erinnerung
behalten. Frau von Stael hatte viel gelesen, selber deutsch gelernt, die
besten Lehrmeister gehabt, Wilhelm von tzumboldt, Constant, Gerando,
Ch. de Villers, zu denen sich auf und nach ihrer Reise noch andere gesellten,
A. W. von Schlegel als der bedeutendste. Sie brachte Fleiß mit, Teil-
nahme, guten Willen, den ernsten Wunsch, sich einzufühlen, das aufzu-
spüren, was echt deutsch war, nicht (wie die Franzosen des (8. Iahrhun-
derts) das, was am täuschendsten französische Art nachäffte. Sie stand
deutschem Wesen nicht durchaus fremd und ratlos gegenüber. Sie war

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