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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,4.1917

DOI Heft:
Heft 23 (1. Septemberheft 1917)
DOI Artikel:
Heiß, Hanns: Zu Baudelaires Gedenktag
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https://doi.org/10.11588/diglit.14298#0209

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schimmert sein Linschlag durch, nicht bloß in Lyrik und Literatur. Nur
in einer Richtung ist er nicht Führer geworden: für die Dichtung des
sozialen Mitleids, der Gegenwartsbejahung und des Optimismus. Sich als
Apostel, Prophet, Erlöser zu gebärden, danach hat es den Menschenhasser
Baudelaire nur im kurzen Rausch von (8^8 gelüstet und nie wieder.

Ieder Ruhm beruht zum Teil auf Mißverständnissen. Baudelaire ver«
dankt den seinen zunächst dem Rachhall des Prozesses und dem Ge«
schwätz von entmenschter Verworfenheit, das über ihn umlief und das er
selber nährte. Mit einer Wonne, die manchmal das Kindische streift,
unterstrich er, was den Bürger reizen und beleidigen konnte, in seiner
Kunst wie in der Grusellegende, die sich um seine Person bildete. Ohne
solche Mißverständnisse wäre sein Linfluß ebenso tief geworden, aber nicht
so breit. Was von ihm am eifrigsten nachgeahmt wurde und (auch bei
uns) nachgeahmt wird, ist das Äußerlichste an ihm, der besondere Veris»
mus, den man in Frankreich Aasliteratur getauft hat und für den sein
Rame als Aushängeschild dient. Die Verherrlichung des Siechen, An-
gefaulten, Ekelhaften ist bei Baudelaire aber nur Begleiterscheinung, nicht
Endziel. Sie fließt aus der Ligentümlichkeit, die in seinem verwickelten
und widerspruchsvollen Wesen die entscheidende bedeutet: aus seiner Ab»
neigung gegen alles, was Gemeingut und jedermann zugänglich ist, gegen
das Gewöhnliche, Natürliche, aus seinem Hunger nach Angemeinem, Un-
erhörtem, Unmöglichem. Neues will er, gleichviel, wie es aussieht und
um welchen Preis. Daher die Hartnäckigkeit, mit der er Kunst, Künst-
liches gegen die Natur ausspielt und über sie stellt. Der natürlichen Land-
schaft gegenüber baut er eine künstliche auf, die nur Metall, Marmor
und Wasser kennt. Frische und Iugend einer Frau sind minderwertig
neben dem Zauber, den Puder und Schminke, die Kunst von Toiletten-
tisch und Kleiderkammer vorgaukeln. Mehr als die weiße (für den Euro»
päer natürliche) Frau besingt er die schwarze Venus, und auch in der
Liebe biegt er von der Straße in die Seitenpfade zum Sexualpathologi-
schen ab. Das Seltene und Seltsame ist der wichtigste Bestandteil seines
Schönheitsbegriffs, und von dem Lsthetischen Lindruck, den er anstrebt,
ist die Verblüffung nicht zu trennen. Rrn seltene Stimmungen hervor«
zurufen, greift er zu Alkohol, Opium, tzaschisch. Ls handelt sich um Flucht
aus der Wirklichkeit, wie sie auf dem Grund aller Dichtung ist, nur daß
Baudelaire in nie oder kaum betretene Gegenden flieht. Dabei hilft es
ihm, wie außerordentlich fein und erregbar sein Geruchsinn ist. „Meine
Seele beschwingen die Düfte wie Musik die Seele der anderen." Ge-
ruchsempfindungen werden ihm eine reiche Ouelle von Eingebungen, lösen
Farben- und Klangempfindungen aus, mit denen sie verweben, wecken die
verschiedensten (Lrinnerungen, Anknüpfungen und Gesichte. Daß Bezie-
hungen zwischen den Sinnen walten und ein Austausch stattfindet, ist längst
vor ihm beobachtet und literarisch verwertet worden, aber nie so sicher
und schöpferisch, mit so ahnungsvollem Blick in unerschlossene Möglich-
keiten. tzier steht er am Eingang einer großen Entwicklung, die trotz
Symbolismus und Expressionismus noch nicht beendet scheint.

Man kann ihn auch zu den Anregern des Naturalismus zählen, wie
es oft geschieht, kann sogar behaupten, er habe dem Naturalismus die
Lyrik erobert. Nur darf man nicht vergessen, daß sein Naturalismus
höchst persönlicher Schattierung und nicht alles bei ihm ist, bloß die eine
Seite seiner Doppelnatur, deren andere Seite Vergeistigung, Mystik heißt.
 
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