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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,4.1917

DOI Heft:
Heft 24 (2. Septemberheft 1917)
DOI Artikel:
Schumann, Wolfgang: Über Soziologie
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14298#0254

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Äber Soziologie


ehr als je ist während des Krieges in diesen Blättern von ,,So»
ziologie", „soziologischer Betrachtnngsweise", „soziologischemWert",
„soziologischer BestimmLheit" die Rede gewesen. Auf viele An«
fragen, was dies eigentlich bedeute, sei hier eine Antwort versucht.

Einiges Grundsätzliche muß vorausgeschickt werden. Erstens: weder kann
unsre Antwort erschöpfend sein, noch kann sie im Gewande einer be»
grifflichen Definition auftreten. Die Soziologie ist in jedem Betracht
etwas Werdendes, in keinem Betracht etwas schon „fertig" Gewor«
denes. Etwas Werdendes ist sie als wissenschaftliche „Disziplin", als
„neue" und eigenartige Wissenschaft, etwas Werdendes als Denkmethode,
als ein System von Grundsätzen, wie man Menschen und menschliches
Erleben, Erleiden und Schaffen betrachten soll oder kann. Zweitens:
unsre Antwort wird nicht auf Lehrbücher, Abrisse, Systeme der wissen-
schaftlichen Soziologie hinweisen als auf die berufenen Antwortgeber»
Es wäre beinahe böswillig, dem Suchenden jene zwanzig, fünfzig oder
hundert Werke aufzuzählen, in denen Gelehrte versuchen, das Arbeits-
gebiet, die Methoden und die Bedeutung dieser jungen Wissenschaft lo--
gisch zu bestimmen — das gäbe nicht Brot, sondern zeigte ein Lehrbuch
der Brotbacktechnik. Mcht mehr Definierendes sei gesagt als dies: daß
Soziologie wie jede „neue" Kulturwissenschaft oder kulturwissenschaftliche
Denkweise den Versuch bedeutet, lebenswichtige Wirklichkeiten auf eine
fruchtbarere Weise zu begreifen, als vorher möglich war.

Äun sei zunächst an einigen Beispielen dargetan, wo überhaupt
im Leben das Bedürfnis nach einem neuen, tieferen Begreifen von
Wirklichkeiten entsteht, wo dieses „Beue", Soziologie genannt, am Gesicht-
kreis unsres tzoffens auf Erkenntnis auftaucht. Erst dann möge einiges von
den gemeinsamen Erkenntnis z i e l e n so vieler tzoffnungen dargelegt
werden.

Die Beispiele wähle ich möglichst verschiedenartig.

Man denke sich die Lrforschung eines verstorbenen Dichters — viel-
leicht als Grundlage für das Verständnis seiner Werke. Wir besitzen von
ihm Briefe, ein paar Tagebücher und ein Bruchstück einer Selbstbiographie,
über ihn Mitteilungen aus amtlichen Urkunden, zeitgenössischen Blättern
und Büchern, Berichte von Zeitgenossen. Alles zusammen ergibt ein
Gesamtbild, das an vielen Anklarheiten leidet. Er hat offenbar tzem-
mungen seiner Entwicklung erlebt, die wir nicht begreifen können und
über die uns seine Zeitgenossen nicht unterrichten. Lr hat sich über sein
Volk in einer uns unfaßlichen Weise ausgesprochen. Er hat Geld aus-
gegeben und Stellungen angenommen, wie es heute kein Begabter tun
würde. Er hat über Dinge lange nachgedacht, die wir nicht wichtig
finden, und in einer Weise über sie geschrieben, die wir heute eines
Großen unwürdig finden würden. Nun beginnt die Forschung, Zeitgenossen
zu studieren, und sindet bei ihnen Ahnliches, aber auch Gegensätzliches,
neue Rätsel, für welche die Psychologie und die Quellenkunde nicht zu-
ständig scheinen. Irgendwie empsinden wir ihn als abhängig von einer
unbekannten Größe — je länger wir forschen, um so abhängiger.

2. Es gibt eine merkwürdige Erzählung, in der ein Iude Finanz-
minister eines deutschen SLaates wird und als solcher sich nicht halten
 
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