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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,4.1917

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Heft 24 (2. Septemberheft 1917)
DOI Artikel:
Schumann, Wolfgang: Österreichische Romane und Novellen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14298#0263

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rate vertretenen Königreiche und Länder" unter sich ähnliche Unterschiede
aufweisen wie unsre Bundesstaaten; die Kronland-Literatur ist in Öster-
reich kaum so ausgebildet wie die reichsdeutsche Stainmesgruppen- oder
Bundesstaatgruppenliteratur es ist. Geistig bildet Wien viel nachdrück-
licher den Mittelpunkt des Kaiserreiches als Berlin den des Bundes-
staates, und das spiegelt sich im Schrifttum deutlich. Die wirklichen Gründe
des Tatbestandes insgesamt aufdecken, hieße indessen etwas leisten, was
bisher für kein Land jemals geleistet worden ist, hieße eine ungeheure
Ausgabe mit zwergenhaft unzulänglichen Mitteln heute schon, Iahrzehnte
vor „der Zeit" lösen wollen. Nur einige tzinweise können wir geben.
Gegen die andern Erdstaaten gehalten, ist Osterreich an sich eine „Abnormi--
Lät", ein „Problem" schwerster Lösbarkeit, ein politisch-soziologisches Ge-
bilde, für das die Wissenschaft eifrig genug, aber noch immer mit
einer gewissen Voreiligkeit nach Formeln und Lrklärungen sucht, als ob
mit Formeln und kurzatmigen Erläuterungen etwas für unsre lebens-
mäßige Erkenntnis erzielt werden könnte. Ein Schriftsteller hätte somit die
Aufgabe, intuitiv Erkenntnisse vorwegzunehmen, wenn auch nicht: aus-
zusprechen, für die wir insgesamt noch nicht reif, auf die wir noch nicht
eingestellt sind. Vielleicht kommt dazu, daß in Österreich zwar der inner-
politische Interessenkampf sehr leidenschaftlich geführt wird, daß aber —
infolge besondrer Amstände — gerade bei den Deutschen in Österreich die
Entwicklung der politisch-soziologischen Einsicht nicht mit der Sntwicklung
der Kampfschärfe gleichen Schritt gehalten hat. Dann aber ist von höchster
Bedeutung, daß die volkliche Vereinheitlichung der das Kaiserreich be-
wohnenden Menschen noch immer sehr gering ist. Die Erkenntnis politi-
scher Interessen mag es hier und da oder zeitweise mit einzelnen Fragen
oder „Belangen" zu tun haben müssen, die Erkenntnis der Lebensordnung,
auch die dichterisch-intuitive, müßte auf Gesamt-Österreich eingestellt sein,
wenn anders sie uns mit wahrhaft österreichischen Wesenszügen in inne-
ren Zusammenhang bringen sollte. Das ist jedoch nicht oft der Fall. Wir
bekommen meist die Leiden und Nöte, Freuden und Äberlieferungen
einer bestimmten Rassengruppe in österreichischen Prosawerken' zu sehen,
Herausgenommen aus ihrem gesamtösterreichischen Zusammenhang; und
das trifft meist sogar auf Werke zu, deren soziologisches Lhema eine Art
verkleinertes Gesamt-Österreich ist: Wien. Mit andern Worten: die deutsch-
österreichische Literatur spiegelt gemeinhin nicht einmal das gesamte Deutsch-
Österreich, sondern nur einen Teil dieses Teils, geschweige denn jenes
Österreich, in dem auch noch Polen, Tschechen, Slowenen, Italiener, Iuden,
Slowaken und andere Völker und Gruppen Lebensrechte haben und an der
Gestaltung der Lebensordnung mitwirken. Wenn aber ja auch solche Mit-
wirkung in ihr berücksichtigt wird, so erscheint sie gewiß nicht auf dem
Grunde einer gesamtösterreichischen Lebensanschauung, sondern oft in der
leisen Verzerrung, in der politische Kampfeinstellung uns die Lebensrechte
und -betätigungen der Anderen so leicht darstellt. — Dies alles, so
scheint mir, ist grundsätzlich sestzuhalten, wenn wir Werke des österreichi-
schen Tagesschrifttums unter soziologischem Gesichtpunkt würdigen wollen,
wie wir dies denn gern tun, sofern besondere künstlerische Werte uns
nicht zu einer anderen kritischen Tonart zwingen.

In Österreichs Geschichte führt Ad. Müller-Guttenb runns No-
man „Barmherziger Kaiser" zurück (Staackmann, Leipzig, geb. 3 M.), in
dessen Mittelpunkt die Gestalt Iosephs des Zweiten steht, des großen

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