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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,1.1917

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Heft 1 (1. Oktoberheft 1917)
DOI Artikel:
Schumann, Wolfgang: Betrachtung und Wille in der Dichtung: zur heutigen Lage
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https://doi.org/10.11588/diglit.14422#0023

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sondern in den Bezirk eines heilig-sreien, prophetisch-gewaltigen Schaf-
fens, in den Bezirk, den wir nur durch die Größten der Geschichte kennen
gelernt haben, wo das Innerlichfte und Edelste vom Menschlichen sich
ungehemmt, ohne Skepsis, von Wirklichkeiten aller Art unangekränkelt,
ausspricht und in Gestalt wandelt. Rnd dieses Streben wird immer
für die meisten das des wahren Dichters würdigfte seinl"

„Klingt ja wundervoll. Schade, daß sie nur wollen können, aber nicht
können können. Doch wo ist die »Einbildung«, von der Sie selber sprachen?"

„In zweierlei. Erstens darin, daß man glaubt, das Höchste werde
jemals gruppenweise erreicht, während nur in Iahrhunderten
Vereinzelte, Begnadete zu ihm dringen. Ich empfinde die Iüngeren wie
eine Mottenschar, die dem gefährlichen Licht zudrängt. Die meisten schei-
tern viel kläglicher als ihre bescheideneren Vorgänger, die ihnen freilich
zumeist auch an echtem und scheinbarem tzeroismus von früh an nach-
standen. Zweitens aber, und das ist wichtiger: sie haben nahezu
alle kein natürliches und kein kraftvolles Verhältnis
zur Wirklichkeit. Sie verachten die Psychologen und Soziologen
als Sklaven der Wirklichkeit und meinen, diese »schrieben« oder »photo-
graphierten« sie bloß »ab«. Dabei sind sie selbst die Sklaven einer Wirk-
lichkeit, die sie nicht mannhaft und klarbewußt ertragen, sondern die sie
triebhaft dumpf wegleugnen. Sie ahnen nichts von dem nicht selten
heldenhaften Kampf, den es kostet, ein Leben lang unbestochen, ungebeugt,
wachen Sinnes, klarsten Auges das Wirkliche anzuschauen, es schweigend
zu würdigen, es ringend aus sich heraus wiederzugebären, es endlich
überlegen und vergeistigend wenn nicht zu beherrschen, so doch zu meistern.
Solcher Kampf nun ist wohl stiller, aber auch heldenhafter, als einer
darum, die Wirklichkeit mit bloßen Worten scheinbarer Gedichte scheinbar
zu überwinden, sie durch dramatische Knallgebläse zu »ändern«, sie durch
romantische Erzählungen aus dem Bewußtsein zu verdrängen. Darf ich
das in abstraktere Worte kleiden? Worte, die zugleich in höherem Grade
mehrdeutig sind? Sie sehen nicht, daß »Realismus« eine dichterische Technik
ist, und zwar eine Technik, von der das neunzehnte Iahrhundert endgültig,
obwohl nicht allein, bewiesen hat, daß sie auch dem größten Gehalt ebenso
gewachsen ist wie jede andre. Sie sehen erst recht nicht, daß »Realismus«
außerdem eine vollgültige Weltanschauung ist. Keine revolutionäre —
für einen Revolutionarismus hat sie nicht einmal Raum, da ihr die
Gegeninstanzen zu wichtig sind —, wohl aber eine evolutionäre, die
keineswegs um eingebildeter Gegenwartschönheiten willen auf Zukunft ver-
zichtet. Sie wollen »die Welt ändern«, ehe sie auch nur ihre Hauptzüge
begriffen haben, und verschmähen eine Geisteshaltung, welche erst be-
greifen will, ehe sie ändern will. Freilich, gerade darin, daß man dann
oft aufs Wollen überhaupt verzichtet, gerade da liegt der Punkt, an dem
das relative Recht der Iüngsten hängt! Es ist heute eine Zeit der Willens-
anbetung. Die Menschen haben übergenug von den Betrachtenden. Alles
soll anders werden. Und wer darf es denn denen übel nehmen, die den
Weltkriegswahnsinn erleben müssen? Wer darf den Stein auf die werfen,
welche da zu Willensfetischisten werden und, unkritisch, aber heiß errcgt,
ihre »Sehnsucht« den wenigstens scheinbar Wollenden, den Trägern
einer Willens-G e b ä r d e, wenn schon nicht eines klaren, erfolgsichern
Wollens selbst entgegenbringen?«

Nach solchen bruchstückhaften Erwägungen kehrte unser Gespräch zur

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