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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,1.1917

DOI Heft:
Heft 1 (1. Oktoberheft 1917)
DOI Artikel:
Schumann, Wolfgang: Betrachtung und Wille in der Dichtung: zur heutigen Lage
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Gregori, Ferdinand: Ideale beim Theater
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https://doi.org/10.11588/diglit.14422#0024

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Vergangenheit und Zukunft dieser Zeitschrift zurück. And das Er-
gebnis mußte sein: was sie war, könnte sie nur wieder werden, wenn sie
ihr Bestes ausgäbe: daß ihr Gehalt und mit ihm ihre Form der Gegen-
wart, dem Lebendigen entspricht. Denn die Zeit ist vorüber, da eine
große Schicht zufrieden war mit betrachtender Literatur; vorüber die Zeit,
da der Kritiker allmonatlich unter dem Neuesten und Besten nur zu
wählen hatte, um der Leserschaft Lindrücke davon zu übermitteln. Was
heraufkam: scheinbar Wollende, die nur selten zum Wollen die Kraft
haben, verlangt andre Einstellung, kritischere Sprache, schärsere Wahl.
Iahre der Wandlung sind gekommen, nicht nur „draußen" in der politisch-
wirtschaftlichen Welt, auch in der literarischen. And wer weiß, ob die
Dichtung künftig auch nur annähernd den gesellschaftlich-seelischen Raum
auszufüllen vermögen wird, den sie bis sM innehatte! Wer weiß es
denn — obzwar sie heute mit hohen Tönen den dreisachen fordert?

Wolfgang Schumann

Zdeale beim Theater

^^dee ist bald Ar°, bald Zielbild — für alle Menschenzeit verloren,
^L verscherzt oder in seiner Vollkommenheit unerreichbar — immer auf
4^) religiöse Äberzeugung, auf Erfahrungen oder Tatsachen geistiger oder
sinnlicher Art gestützt, die sie über bloße Schwärmerei hinausheben. Wenn
also ein ganz und gar unbegabter Backfisch erklärt, sein Ideal wäre es,
eine berühmte Malerin zu werden, oder wenn derselbe Backfisch sein
Männerideal im Heldentenor des Stadttheaters verwirklicht sieht, so stützt
sich das eine Mal die Unerreichbarkeit nicht auf irgendwelche Tatsachen
und das andere Mal ist die körperliche Erreichbarkeit vielleicht schon
durch einen Brief zu bewirken, die wirkliche Idealität aber jenseits der
Schminke und der silbernen Rüstung durchaus zweifelhaft.

Die höchste Idee ist Gott, eine Forderung unsres Glaubens, der kraft
unsres Wissens um die Erscheinungen hinter diesen sinnlich beschränkten
Erschsinnngen ein unbeschränktes Sein erfühlt. Annäherungsweise spre-
chen wir darum auch schon von Göttlichem, wo es sich um künstlerische
Vollkommenheiten handelt; denn Kunst ist die reinste Form des mensch-
lichen Schasfens, weil sie dem absoluten Sein, wie wir es glauben, am
nächsten steht: losgelöst von niedrig-materiellen Beweggründen, Totalität
und Steigerung suchend.

Aber der Mensch läßt mit sich und seinen Idealen handeln. Er stellt
Marksteine an den Weg ins Anendliche, und die tragen voreilig bereits
das Zeichen des Zieles. So wird das Anerreichbare leicht mit dem Noch-
nicht-Erreichten verwechselt und für den Geschmack der Nicht-ganz-Großen
zubereitet. Faust, der aus tausend Augen blickende Titane des ersten
Monologs, und Faust der Erblindete, der nur noch den einen Sumpf
als Hindernis erkennt, bezeichnen etwa die seelische Verfassung: „unerreich-
bar" und „noch nicht erreicht", „ins Anendliche strebend" und „am Nächsten
oder Äbernächsten Genügen sindend".

Wenn ich mit der Forderung der unbeschnittenen Idealität ans Theater
heranträte, fiele es ganz und gar in sich zusammen, ein Haufen Staub.
Wer — sei er Dramatiker, Schauspieler, Spielleiter, Kritiker oder Zu-
schauer — als Titane in das Theater-Getriebe fährt, schlägt sich entweder
den Schädel ein oder biegt sich zum Entsagenden um; Entsagung hier

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