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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,1.1917

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Heft 1 (1. Oktoberheft 1917)
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Vom Heute fürs Morgen
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Unsre Bilder und Noten
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https://doi.org/10.11588/diglit.14422#0055

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Vom Völkerwahn

OeiLer ist bekannt, daß es fast
^nichts Ansteckenderes in der Welt
als Wahn und Wahnsinn gebe. Die
Wahrheit inuß man durch Gründe
mühsam erforschen; den Wahn
nimmt man durch Nachahmung oft
unvermerkt, aus Gefälligkeit, durch
das bloße Zusammensein mit dem
Wähnenden, durch Teilnehmung an
seinen übrigen guten Gesinnungen,
auf guten Glauben an. Wahn teilt
sich mit, wie sich das Gähnen mit-
teilt, wie Gesichtszüge und Stim--
mungen in uns übergehen, wie eine
Seite Ler andern harmonisch ant-
wortet. Kommt nun noch die Be-
strebsamkeit Les Wähnenden hinzu,
uns die Lieblingsmeinungen seiner
Ichheit als Kleinode anzuvertrauen,

und er weiß sich dabei recht zu neh-
men; wer wird einem Freunde zu
Gefallen nicht gern zuerst unschuldig
mitwähnen, bald mächtig glauben
und auf andre mit eben der Streb-
samkeit seinen Glauben fortpflan-
zen? Durch guten Glauben hängt
das Menschen-Geschlecht aneinan-
der; durch ihn haben wir wo nicht
alles, so doch das Nützlichste und
Meiste gelernt; und ein Wähnender,
sagt man, ist deshalb ja noch kein
Betrüger. Der Wahn, eben weil er
Wahn ist, gefällt sich so gern in Ge-
sellschaft; in ihr erquicket er sich,
da er für sich selbst ohne Grund ünd
Gewißheit wäre; zu diesem Zweck
ist ihm auch die schlechteste Gesell-
schaft die beste. Nationalwahn ist ein
furchtbarer Name. tzerder

_Unsre Brlder und Noten

^Lv ein „Farbenbild" vor dem ersten Heft? Das ist unkaufmännisch,
M^denn auf „Farben" geht einem Verleger das Publikum, wie die
^^Fliege auf den Leim. Deshalb den neuen Lesern zur Kenntnis, was
die alten wissen: wir halten die billigen Farben-Autotypien für die
allerschlimmsten Augen- und Geschmacksverderber, die zudem meistens auch
noch schwere Dokumentfälscher sind. Inwiefern, davon haben wir wieder-
holt gesprochen, und wir werden das weiter tun. Trotzdem werden wir
ausnahmsweise nach wie vor auch selber gelegentlich farbige Bilder brin-
gen. Aber Farben-A uto typien nur dann, wenn sie genügen können,
oder wenn's leider nicht anders geht. — Also lieber farbige Steindrucke
usw., wie wir köstliche in Vorbereitung haben. Iedenfalls aber Sachen
in einer Technik, die Kunstblätter mitzugeben erlaubt.

Freilich, das Bild vor unserm Hefte, der Kupferdruck nach Wilhelm
Lichtenheld, ist kein Kunstblatt in unserm Sinne. Mit teurer oder
billiger Technik hat die Frage „Kunstblatt oder nicht?" ja gar nichts zu
tun, sondern damit: ob das ästhetische Genießen bei ihm sich beruhigen
kann oder nicht. Bei dem Lichtenheld-Blatte kann es das nicht, es weist
auf eine Farbigkeit, die hier fehlt, die eine Farbenautotypie aus dem
Original auch nur verkleinlichen und zusammenquirlen, die allein die
freie Künstlerhand auf das neue Format und die neue Techuik anpassend
übertragen könnte. Nnser Blatt soll auf das Bild in der Münchner
Pinakothek hinweisen. Nnd es genügt, um auch jene, die diesem
Hinweise nicht körperlich folgen, an die immer noch unterschätzte Kunst
der deutschen „Deutlich-Maler" zu erinnern. Es gibt in der Kunst
nicht uur einen Weg, wir dürfen die alte Wahrheit nicht vergessen,
wenn eine neue Richtung sich für die allein seligmachende hält. Die
„Scharfseher" unter den deutschen Malern sind lange genug der Gunst
entrückt gewesen, ihr Morgen dämmert wieder.

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