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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,1.1917

DOI Heft:
Heft 2 (2. Oktoberheft 1917)
DOI Artikel:
Schumann, Wolfgang: W. Rathenaus frühere Schriften
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https://doi.org/10.11588/diglit.14422#0080

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W. Rathenaus frühere Schriften

ehört Rathenaus Buch „Von kommenden Dingen" zu den wenigen
^Ht^großzügigen Schriften, die eine Gegenwart deuten und Wesenszüge
^L^der Zukunft darstellen, so kann kein ernsthafter Leser an ihren
Voraussetzungen vorüber, die in Rathenaus früheren Schriften nieder-
gelegt sind.

Das Buch „Zur Kritik der Zeit" (l9s2) stellt das Wesen der
Mechanisierung der Welt dar, von der in den „kommenden Dingen" so
viel die Rede ist. Seit der Mitte des vorigen Iahrhunderts, sagt Ra-
thenau, sind Zustände eingetreten, welche noch nie so oder ähnlich auf
Erden bestanden haben. Bezeichnend für sie sind ein neues Deutsch,
Zeitungsdeutsch, Abhandlungsdeutsch, Geschäftsdeutsch, historisch-pragmati-
sche Bildung, geschäftliche Staatenpolitik, Weltstadtphänomene, ein Sehnen
der Zeit (das konkrete Ideale verdrängt hat), eine unstete und gesellige,
sprunghafte, gedankenbegierige und sehnsüchtige, interessierte, kritische, stre-
bende und hastende Stimmung, eine unerhörte Gleichartigkeit des Den-
kens und Trachtens in allen westlichen Ländern. Woher kommt dies?
Nach Rathenau trägt nicht der moderne Verkehr und auch nicht haupt-
sächlich die Eutwicklung der Wirtschaft die „Schuld", sondern vor allem
die ungeheure Volksvermehrung; diese ist zurückzuführen auf die end-
gültige „Aufzehrung der Oberschicht" in den westeuropäischen Ländern;
denn nur zweischichtige Völker, in denen eine tzerrenklasse mit einer Be-
herrschtenklasse den Raum bewohnte, haben eine wechsel- und schicksal-
starke Geschichte, während einheitliche, gut zusammeugekochte Völker lange
im einmal gegebenen Zustand beharren. Das Wesentliche ist nun die
Vermischung beider Schichten, das allmähliche Emporkommen der Nnter-
schicht mit ihrer größeren Fruchtbarkeit und Bildsamkeit. Die so ent-
stehende Verdichtung erzwingt die Mechanisierung, die Umlagerung der
inneren Kräfte spricht sich als Entgermanisierung aus.

Die Hauptzüge der Mechanisierung sind nun diese: die irdische Pro-
duktion mußte aufs gewaltigste vermehrt werden, um sie der Milliarden-
zahl der Menschheit anzupassen. Erhöhung der Produktion unter Er-
sparnis an Arbeit und Material ist die Formel dafür, Arbeitteilung,
Arbeithäufung, Organisation, Technik, Konkurrenz, Kapitalismus — solche
Schlagworte kennzeichnen die Durchführung. Die Mechanisierung konnte
aber nicht auf das Gebiet der Gütererzeugung beschränkt bleiben, sondern
ergriff das gesamte Leben. Ein System unsichtbarer Verständigungen,
Bindungen und Beziehungen. mußte die menschlichen Elemente des Orga-
nismus zusammenhalten, Beruf und Arbeit verteilen und die tote Sub-
stanz an diese Elemente ketten. Die Kernform des au die Person gebun-
denen, erblichen Besitzes mujzte mechanisiert werden — „den mechani-
sierten Besitz nennen wir Kapital". Die mechanisierte Gütererzeugung
schafft sich den Kapitalismus mit seiner atomistischen Teilbarkeit, Veweglich-
keit und Kohäsion des Besitzes. Auf der andern Seite hat sich das Wesen
des Staates der Mechanisierung angepaßt; nahezu alle seiue Funktiouen
gelten über irgend eine Vermittlung hinweg — sei es die Iustiz, die
äußere Politik, die Verwaltung oder etwas andres — den wirtschaftlichen
Aufgaben. Selbstverständlich ist auch die Gesellschaft mechanisiert,- in zahl-
lose Bindungen ist die Persönlichkeit verstrickt: sie ist Soldat, Wähler,
Steuerzahler, Berufsgenosse, Arbeitgeber oder -nehmer, Mieter, Kunde,

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