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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,1.1917

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Heft 3 (1. Novemberheft 1917)
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Gogarten, ...: Lutherworte: das ewig schaffende Wort
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Geyer, Christian: Luther vor uns!
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https://doi.org/10.11588/diglit.14422#0120

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daß du ein Weib wärest, und so köstlich in Gottes Werk und Willen Not
leiden und sterben. Denn hie ist Gottes Wort, das dich also geschaffen,
solche Not in dir gepflanzet hat. Sage mir, ist das nicht auch (wie Salo-
mon sagt) Wohlgefallen von Gott schöpfen, auch mitten in solcher Not?

Nun, sage mir, wenn ein Mann hinginge und wüsche die Windel
oder tät sonst am Kinde ein verächtlich Werk, und jedermann spottet
sein und hielt ihn für ein Maulaffe und Frauenmann, so er's doch

tät in solcher obgesagter Meinung und christlichem Glauben — Lieber,
sagt, wer spottet hie des andern am feinsten? Gott lacht mit allen Engeln

und Kreaturen, nicht, daß er die Windel wäscht, sondern daß er's im

Glauben tut. Iener Spötter aber, die nur das Werk sehen und den
Glauben nicht sehen, spottet Gott mit aller Kreatur als der größten
Narren auf Erden, ja sie spotten sich nur selbst und sind des Teufels
Maulaffen mit ihrer Klugheit.

Es ist eine große Gnad, wer Gottes Wort für sich hat. Daß er

aufrücken kann und mit Gott reden und sagen: Siehst, das hast du ge-
sagt, das ist dein Wohlgefalle. Was liegt einem solchen Menschen dran,
oi>'s aller Welt übel gefalle und ein Spott sei?

(Zusammengestellt von Gogarten)

Luther vor uns!

^^ie großen Persönlichkeiten der Geschichte leben ihren Zeitgenossen
/weit voraus. Sie hören mit ihrer feinfühligeren Seele Klänge und
Akkorde, für die diese noch kein geistiges Organ besitzen, und stellen
der Menschheit Aufgaben für viele Iahrhunderte. Ob das auch bei Luther
so ist? Bei manchem, was in der Kirche als „lutherisch" gelehrt wird, kann
man den Eindruck haben, als ob es von dem religiösen Bewußtsein be°
reits überholt sei. Was Luther brachte, war natürlich an dem Gegensatz
seiner Zeit orientiert. Neue Zeiten stellen andere Fragen und kommen
mit vorher kaum geahnten Bedürfnissen. Die Seelen der großen Männer
sind das Schlachtgebiet zweier Zeiten. Der Schatten der Vergangsnheit
fällt in sie hinein, während ebenda die Sonne eines jungen Tages auf-
geht. Es ist begreiflich, daß die Geister des Durchschnitts mehr auf jenen
als auf diese achten. Wir wissen uns frei von der Neigung, die zer-
borstenen Mauern irgendeines zerbrochenen Zions, wie Schleiermacher sagte,
emporschreien zu wollen. Was an Luther der Vergangenheit zugehört,
lassen wir vergangen sein. Aber vielleicht enthält sein Goldschatz Klein-
odien, deren Wert noch nicht genügend erkannt und die noch keineswegs
völlig und allgemein nutzbar gemacht worden sind? Wir sind überzeugt,
daß es sich wirklich so verhält. Die eigentliche Lebensanschauung Luthers
scheint uns weder von seinen Freunden in ihrer einzigartigen Schönheit,
noch von seinen Feinden in ihren weltumgestaltenden Folgen erfaßt worden
zu sein. In der neuesten Lutherliteratur hat fast nur die Seele Ricarda
Huchs die verwandte Lutherfeele erkannt und mit leidenschaftlicher Liebe
gegrüßt. Die Theologen waren mehr geneigt, Luther in der Linie zu
fehen, die zu Kant führt. Der Gewissensernst des Reformators und die
Moral des kategorischen Imperativs stehen ja auch in innerem Zusammen-
hang. Allein, wenn man meinte, Kant habe das erst recht vollendet, was
Luther begonnen, und im Kantischen Pflichtbewußtsein sei der Geist Luthers

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