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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,1.1917

DOI Heft:
Heft 6 (2. Dezemberheft 1917)
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: "Der neue Geist"
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https://doi.org/10.11588/diglit.14422#0227

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„Der neue Geist"

^-^.er seine Kindheit in einem deutschen Hause verlebt hat, dem hat
^»M^es eines bis an den Tod geschenkt: kommen die kleinen Bäume
^"^»^vom Wald in die Straßen herein, so kommt eine festliche Stimmung
mit. Christ, Iude oder Heide, das hat damit nichts zu tun, das nahende
Licht vom Weihnachtsbaum wirft auf uns Alle einen Schimmer mindestens
von Freundlichkeit voraus. „Vernunft fängt wieder an zu sprechen und
Hoffnung wieder an zu blühn." Aus den Nebeln der Sorgen und Ver--
Lrgerungen tauchen vor uns inselgleich Äberblick verheißende Höhen auf.
An eine Vernichtung des Deutschtums haben wir zwar nie geglaubt.
Aber auch, daß uns eine Verbindung der ganzen Erde gegen uns wenig-
stens besiegen könnte, wenn wir einig sind, auch das fürchten wir nicht
mehr, seit sich unsre Stärke fast über Menschenbegreifen gezeigt hat.
Doch: sind wir denn einig? Nm diese Vorbedingung kommen wir nicht
herum. Nnd wenn wir es nicht sind, wie begreifen wir das, ohne einander
feind zu werden? Wenn wir es nicht sind, wie können wir einig werden?
Ich möchte eben die Freundwilligkeit der Advent- und Weihnachtsstimmung
zu ein paar Worten darüber erbitten.

^mmer wieder, wenn ein neues Zusammenraffen gebraucht wird, hören
?>wir einen Appell an den „neuen Geist". Von den Kanzlern, von den
Kaiscrn, von Hindenburg immer wieder und in dringlichem Stil. Wer
widerspräche ihnen dann? Alle Welt stimmt ihnen zu und mit dem, was
man so Begeisterung nennt. Ia, ja, so sei es, den neuen Geist brauchen
wir, und es sei unerhört, daß er nicht überall da sei. Wenn alle Welt
darüber einig ist, wo sind denn die Sünder? „Auf der Gegenpartei!"
sagt jeder, den du fragst. Dort sitzen die Geschäftemacher, die Narren,
günstigstenfalls die „Ideologen", dort die, von denen man je nach der
Abgestimmtheit des eignen Ichs empört, verächtlich, achselzuckend oder ironisch
schreibt und jedenfalls mit dem Abstand markierenden „Herr" vor dem
Namen. Dem entspricht der Ton der politischen Erörterungen fürs Volk.
„Gegenüber dieser wuchtigen Kundgebung wagt man. . „Ist es nicht
komisch, wenn der Obergenosse. . „Die Profitbrüder der Schwer-
industrie . . „Seine Bemühungen werden krampfig, um zu beweisen..."
„Die Alldeutschen in ihrem gewohnten Narrentanz . . .« „Die Sozialdemo-
kratie drückt sich mit hämischer Gebärde von der Verantwortung . . ."
Gewiß, es gibt Männer, die anders reden, denn es gibt überall Äber-
legene. Die Tagespresse in ihrem Durchschnitt aber schreibt s o zur Rechten
wie zur Linken, und jetzt mitten während des Kampfes nach außen kaum
um zwei Grade gedämpfter im Ton, als zu den Zeiten der „Wahlkampagnen"

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