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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,2.1918

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Heft 10 (2. Februarheft 1918)
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Avenarius, Ferdinand: "Wer hat die Schuld?"
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Walzel, Otto: Umwertung von Dichtern
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https://doi.org/10.11588/diglit.14372#0109

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genossen im Gegner die tzand zur Kette reichen, so verdienen wir
eben, was dem folgen muß. A

Llmwertung von Dichtern

der deutschen Dichtung ist neues Leben erwacht. Was sich kurz vor dem
Kriege anzukündigen begann, wird jetzt mitten im Krieg mehr und mehr
verwirklicht und bahnt den Weg zn der Zuknnft, die nach dem Kriege den
Deutschen ein neues Lebensgefühl schenken soll. Schon sehen sich unsere jüngsten
Dichter dnrch die machtvollen Eindrücke der schweren Gegenwart weitergetrieben
zu einer Kunst, die sich den Stimmungen und Anschauungen der Zeit um jyOO
entgegenstellt. Etwas Ungewohntes ist in ihnen aufgegangen. Sie sprechen es
aus nnd sind sich dabei bewußt, daß ihre unmittelbaren Vorgänger nicht imstande
seien, den seelischen Bedürfnissen zu genügen, die der Krieg wachgernfen hat.
Nicht Dichtung vom Kriege ist das neue Ziel, sondern Bekenntnis einer Welt-
anschauung, die aus den unermeßlichen Erschütterungen der Kriegszeit geboren
wird.

Mag die neue Kunst Expressionismus oder wie immer heißen, Tatsache ist,
daß sich seit dem Beginn der naturalistischen Bewegnng keine gleich entschiedene
Umkehr eingestellt hat. Es fragt sich, ob nicht hente ein noch viel größerer
Gegensatz von einst und jetzt waltet als nm I3Z0. Der Natnralismus trieb nnr
anf die Spitze, was sich fast während des ganzen l9- Iahrhunderts vorbereitet
hatte. Heute verläßt man die Richtung, die von deutscher Dichtung etwa seit
Goethes Tod innegehalten worden war. Fa, vielleicht noch weiter znrück reichen
die dichterischen Erscheinungen, die nnseren Iüngsten und ihren künstlerischen
Absichten widersprechen, die ihnen mithin fortan für überwunden gelten sollen.

Sine völlige Umwertnng der Werte ist notwendige Folge. Nicht bloß die
Mode von gestern setzt sich Worten der Abwehr, ja der Verspottung ans. Noch
an die Leistungen des deutschen Klassizismns wird ein nener Maßstab angelegt.
Er kann unter Umständen die Wiedergeburt eines Vergessenen, lange 'Unte»
schätzten bedingen. Steht wirklich eine Klopstockrenaissance (wie man das nennt)
in Aussicht? Das Schlagwort wurde ausgegeben, als vor knrzem ein Führer
der Neuesten, Theodor DLubler, zu tzellerau Verse Klopstocks im Sinn jüngsten
Formgefühls vortrug. Sogar ein Gesang des „Messias" tönte da vielen wie
frohe Botschaft. Ein kommendes Wiedererwachen Klopstocks verkündete ich schon
zu Ostern in einem Vortrag, den ich in Wien hielt. Ich berief mich auf die
lhrischen Leistungen unserer Iüngsten.

Nenen Wert gewinnt, was lange entwertet war. Entwertet wird, was lange
für wertvoll gegolten hatte. Gerade die stärksten Stützen der Eindrucksknnst von
gestern treffen bei den Vorkämpfern der Ausdrnckskunst von heute auf den ent°
schiedensten Widerstand. In Gerhart Hanptmanns Schaffen verkörpern sich die
bezeichnenden Züge der Lindrnckskunst so mächtig, daß er jetzt schärfsten Angriffen
sich ausgesetzt sieht. Seine Dramen spiegeln impressionistisch die Welt, sie ver-
deutlichen Seelenvorgänge auf Kosten tragischer Führnng der Handlung, sie
meiden jeden kraftvollen gedanklichen Eingriff, wollen nicht bekennen oder sitt-
liche Ziele aufdecken. Genan das Gegenteil wird jetzt erstrebt. Der Tragiker von
heute will nicht abspiegeln, sondern tatkräftig gestalten, nicht auf Treffen legt
er es an, sondern auf Entfernung zwischen der Erscheinungswelt und dem Kunst-
werk; Pshchologie hat für ihn den künstlerischen Wert verloren, der ihr bis vor
kurzem zugebilligt wurde; aus geistigen Doraussetzungen soll das Kunstwerk er-
stehen, etwas Geistiges soll es verkünden, es soll ein Bekenntnis sein. Wirklich
scheint eine Vermittlung undenkbar zwischen zwei Kunsterscheinungen und Kunst--

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