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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,3.1918

DOI Heft:
Heft 14 (2. Aprilheft 1918)
DOI Artikel:
Schumann, Wolfgang: Gelegentlich von Walter Hasenclevers "Antigone"
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https://doi.org/10.11588/diglit.14373#0051

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Inhalt ein vollkommener Eklektiker ist, der seine wenigen ethischen Maximen
«rus den alten Lehrgebäuden des Christentums, des Sozialismus, des Pazifis-
mus und des Völkerrechts geholt hat und sie mit kunstloser Eilfertigkeit seineu

Gestalten in den Mund leitet, meist ohne ihnen auch nur den Hauch eignen

Erlebnisses mitzugeben, von dichterischer Durchglühung uud Formung, von
irgeudeiner Verfeineruug oder Mouumeutalisierung ganz zu schweigen? Aber
wie? Es handelt sich gar nicht um neue „Ethik", sondern um neues „Ethos"?

Damit kann nur gemeint sein, daß alte Wahr- und Weisheit die Iüngeren

ergriffen hat und daß sie sich leidenschaftlich zu ihr bekenuen. Ihr gutes
Recht, nur wahrlich kein „neues" Phänomen. War Gerhart Hauptmann,
war Ibsen, war Björnson, war Maarteu Maartens, waren nicht Dutzende
von Alteren, zum Teil noch Lebeuden, ebenso Verkünder christlicher, sozia-
listischer, pazifistischer Gedanken? Und: gerade unter dieser Voraussetzung läge
das „Neue" ja im k ü n st l e r i s ch e n Wollen der Iüngeren, ein neuer Stil
sittlicher Verküudung, das wäre dann ihre Losung. Für mein Gefühl machen
sie sich's auch damit und gerade damit recht leicht. Ich sehe Absichten,
aber sind die schon ein Stil? Fühlt man es z. B. nicht als stil l o s, antike Ge-
stalten beständig von „Gott" und seiner „Gnade", von „Engeln", vom „Iüngsten
Gericht", von „Hölle" und biblischen Vorstellungen, von „Vaterland", „Völker-
recht" und andern Nnantiken Begriffen und Werten reden zu lassen? Aber
es wäre kein Ende zu finden, wenn wir uns auf die ästhetische Würdigung
des Werkes einlassen wollten. Nur zwei Gesichtspunkte. Auf psychologische
Durchbildung und Ausführung der Gestalten verzichten die Iüngeren mit
eiuer Absichtlichkeit, die man gelteu lassen mutz, auch wenn man nicht viel
mehr als Unfähigkeit dahinter vermutet und die Redewendung von der „un-
fruchtbaren Analyse" in ihrer Nnreife durchschaut. Gut, Hasenclever will statt
der eindeutigen Charaktere, die er nicht gibt, monumentale Träger einseitiger
Weltanschauuugen geben. Kreon: der Gewaltherrscher und Machtrechtler,
Antigone: die Verkünderin der Liebe, des Mitleids, der „ewigen" Rechte.
Aber wo stammen die bestialischen brunsthaft-tierischen Züge Kreons her,
woher Antigones demagogisch-ekstatische Gebärde, woher die dramatisch ganz über-
flüssige erotische Brunst der Kriegerszeuen, woher die in Lust an Aas und Gestank
wühlenden Worte? Aus den unmouumentalsten der nahen Vorfahrcn dieser
Antigone-Dichtung: aus Hofmannsthals und Ernst tzardts allzumenschlich
lüsterneu Verzerrungen edlerer überlieferter Gebilde. Und so verfehlt Hasen-
clever, Epigone der Epigonen, aus der Flucht vor der Psychologie auch den
Ausweg, der ihn retten könnte. Eins ist ihm eigen: Kürze. Wäre sie an
sich schon tiefe Wirksamkeit und Monumentalität, er hätte ein starkes Drama
geschaffen. Die Szenen jagen einander nur so, oft fallen geradezu nur Stich-
worte, kaum ein Gedanke „entwickelt" sich, Schillerscher Redestrom bleibt dieser
Kargheit feru, nur einige Visionen und Monologe gehen ein wenig in die
Breite. Ich leugne den „Reiz" nicht, der gelegentlich darin liegt. Aber er
wird teuer erkauft mit der blassen Schemenhaftigkeit asler Nebengestalten wie
Ismene, Hämon, Eurydike, Teiresias <der nur hundert Worte zu sprechen
hat), mit der filmmäßigen Skizzenhaftigkeit der Auftritte, die fast alle der
dynamischen Elemente, der Steigerungen und des Tonhöhenwechsels ermangeln,
mit der Kahlheit in der Verkündung der ganz primitiven sittlichen Gedanken,
mit dem ständigen ermüdenden Fortissimo des Dialogs. Gegen alles das
kommt, für mein Gefühl, das unzweifelhaft echte Pathos aus der Brust dieses
gequälteu und unfreien Dichters nicht auf. Der letzte Eindruck ist auf mich
der einer erschreckenden Unfähigkeit, eines starken Erlebens Herr uud freier
Gestalter zu werden. Der edelsten „Stoffe" einer ist hier zum formlosen
Traum, zum schwammigen Gcrippe einer Halbdichtung geworden.

Schumann

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