Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,3.1918

DOI Heft:
Heft 14 (2. Aprilheft 1918)
DOI Artikel:
Corbach, Otto: Die Zukunft des Parlamentarismus, [1]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14373#0052

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die ZukunfL des Parlamentarismus

^nerbittlich setzt sich der Parlamentarismus mehr und mehr in der
) ! ganzen Welt durch. Politische Umwälzungen haben in wenigen
^^Iahren zwei Riesenreiche wie Rußland und Ehina aus absolutistisch
in demokratisch regierte Staaten verwandelt, und seitdem gibt es in der
Menschheit nur bei der schwarzen Rasse noch zahlreiche Völkerschasten,
die den Segen oder linsegen parlamentarischer Einrichtungen noch nicht
kennen. Ebenso gesetzmäßig und unwiderstehlich drangt der Parlamen--
tarismus, wo er einmal eingeführt ist, nach immer mehr Geltung.

Horcht man unbefangen auf kritische Stimmen aus den Ländern, die
am längsten über parlamentarische Einrichtungen verfügen und die ihnen
den freiesten Spielraum gewähren, so könnte man fast versucht sein,
denen recht zu geben, die in der parlamentarischen Entwicklung der
politischen Welt ein Verhängnis für die Völker sehen. England gilt als
das „Mutterland der Parlamente" und seine parlamentarischen Einrich--
tungen werden überall, wo solche erst geschaffen werden sollen oder im
Schatten älterer Herrschaftseinrichtungen erst kümmerlich gedeihen, als
musterhaft gepriesen. Dennoch hat das englische Volk durch sie uicht
verhindern können, daß es in diesen Krieg mit verwickelt wurde- es mußte
es sogar ohnmächtig dulden, daß durch sie seine Geschicke unter die
Herrschaft von Männern gerieten, die nach den Methoden der Diplomatie
des achtzehnten Iahrhunderts geheime internationale Verschwörungen
anstifteten, die zu den stärksten Rrsachen dieses Krieges gehören. „Die
königlichen Prärogative," klagte die „British Constitution Association" in
einem öffentlichen Aufrufe zugunsten eines Referendums schon im Iahre
i9sO, „werden jetzt durch die Minister ausgeübt, und der Premierminister
ist in weitem Umfange zp einem Diktator geworden." Im besonderen
waren Klagen über eine „Autokratie des Auswärtigen Amtes" im
öffentlichen Leben Englands vor dem Kriege schon an der Tagesordnung,
so daß dessen damaliger Leiter, Sir Edward Grey, mit der Zeit der
bestgehaßte englische Staatsmann geworden war. Was Wunder, daß
der „Kabinettszäsarismus", der das parlamentarische Leben in England
schon im Frieden überwucherte, erst recht im Kriege gedieh. Ietzt ist es
soweit gekommen, daß ein Direktorium von fünf Männern fast willkür-

lich das britische Inselreich beherrscht, sich im Rnterhause durch einen

Politiker zweiten oder dritten Ranges (Bonar Law) vertreten läßt und
sich durch allerhand Zwischenglieder vor unmittelbarer Fühlung mit dem
Parlament möglichst hütet.

Auch in Frankreich hatte sich vor dem Kriege schon viel Parlaments-
verdrossenheit angesammelt. Sie fand unter anderm in einer „Liga

für die parlamentarische Moralität" ihren Ausdruck, die im Iahre
von einer Anzahl Republikanern (Radikalen und Radikal-Sozialisten)
gegründet wurde. Deren Bestrebungen gingen hauptsächlich dahin, daß
der Parlamentarismus kein Beruf noch Erwerb sein dürfe und darum
die Wiederwahl eines Abgeordneten verboten werden müßte, daß ein
Parlamentarier kein Minister werden dürfte und die Minister eine

gewisse Unabhängigkeit gegenüber dem Parlament erhalten sollten; daß
schließlich ein über der Regierung stehender Oberster Gerichtshof zu er-
richten wäre von der Art des Supreme Court in den Vereinigten Staaten.
Zum Organ der Liga gab sich das bedeutendste republikanische Provinzblatt

3i
 
Annotationen