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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,3.1918

DOI Heft:
Heft 17 (1. Juniheft 1918)
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Wölfflin, Heinrich: Jacob Burckhardt: zum 100. Geburtstag am 25. Mai
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https://doi.org/10.11588/diglit.14373#0133

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Stimmung die (in Znrich begonnene) Kultur der Renaissance. Ein Lrgän-
znngswerk über die Kunst dsr Renaissance — in systematischer Form —
kam dagegen nicht mehr znm Abschluß, und ohne das Drängen Lübkes wäre
auch der erste, schon fertiggestellte Band über Architektur im Dnnkel einer
Schreibtischschublade liegen geblieben. Dann aber hört merkwürdigerweise das
Publizieren völlig auf. Burckhardt fand sein Genügen am Leben, Lernen nnd
Lehren und nannte das Bücherschreiben eine gesundheitsschädliche Beschäfti»
gung. Erst viel später überkam ihn noch einmal die Lust am Zusammenstellen
und literarischen Formen. Ihr verdanken wir den Torso der griechischen
Kulturgeschichte. Rubens endlich und die Beiträge zur Kunstgeschichte von
Italien sind die Arbeiten, mit denen der alte Mann, nachdem er, fünfund»
siebzigjährig, das Lehramt niedergelegt hatte, seine Mußezeit füllte.

Mau muß sich das vergegenwärtigen, um zu ermessen, einen wie kleinen
Raum verhältuismäßig die Schriftstellerei im Leben Burckhardts einnimmt.
Gerade aus der Zeit der Höhe und der vollkommenen innerlichen Unabhängig»
keit haben wir nichts. Es hätte Anvergleichliches entstehen müssen, wenn er
sich auch nur zu „Reisebriefen" oder derartig freien Mitteilungen damals
hätte cntschließen wollen! —

Mommsen soll über die „Ieit Constantins" gesagt haben, man würde das
Buch noch lesen, auch wenn sich herausstellen sollte, daß kein Satz darin
richtig sei. Das ist (in übertreibender Form) ein Arteil, das auch für andere
Arbeiten Burckhardts gelten kann. Sie leben von der Kraft und Lebendigkeit
der Gesamtanschauung, nicht von der Richtigkeit einzelner Tatsachen und einzelner
Folgerungen. Burckhardt gab jederzeit ruhig Zu, daß ein anderer mit dem»
selben Material zu ganz verschiedenen Resultaten kommen könnte. Er be-
mühte sich auch gar nicht darum, in üer Quellenverwertung die letzte Voll-
ständigkeit zu erreichen. Ihm lag nur darau, die Dinge, wie er sie in seiner
inneren Vision sah, so deutlich wie möglich werden zu lassen. Die historische
Darstellung war ihm eine künstlerische Aufgabe. Möge ein anderer kommen
und ein anderes Bild daneben stellen: alle menschliche Anschauung ist not-
wendig einseitig. (Es muß seine Gründe haben, daß dieser andere sich immer
noch nicht hat melden wollen!)

Indessen, man würüe sehr irren, wenn man glaubte, daß Burckhardt dem
bloßen willkürlichen Phantasieren über das geschichtlich Aberlieferte ein Recht
eingeräumt hätte. Durch und durch objektiv gestimmt, besaß er die höchste
Lhrfurcht vor dem Gegebenen und das tiefste Mißtrauen gegen das Subjekt
des Autors, der mit seinem Arteil so wenig wie möglich in die Dinge sich
einmischen sollte. Es ist auch bezeichnend, daß die großen Bücher Burckhardts nicht
von einzelnen Personen, sondern nur von Zeitaltern und Gesamtentwicklungen
handeln. Er hatte von vornherein eine starke Abneigung gegen das zudring-
liche Hineinleuchten in alle verborgenen Winkel des persönlichen Lebens und
naurentlich gegen das Fraternisieren mit historischen Größen von seiten ihrer
Biographen, daß er aber selber keine „Biographie" geschrieben hat, liegt
letzten Grundes doch wohl daran, daß ihn, bei aller Freude am Individuellen,
am meisten die großen Gattungsformen und ihre Entwicklungen interessierten,
und er war überzeugt, daß namentlich die Kunstgeschichte aus einer syste-
niatischen Betrachtung, wie er sie für die Architektur durchgeführt hat, am
mcisten Gewinn ziehen würde. —

Trotz allem was Burckhardt sonst noch gemacht hat: für uns ist er in
erster Linie der Darsteller der Kunst der italienischen Renaissance. Mit
genialem Instinkt hat er hier ein Phänomen gedeutet, das ihm wesensverwandt
war. Es gibt kein kunstgeschichtliches Buch, das sich an weittragender Wir-
kung mit dem Eicerone irgendwie vergleichen kann. In der anspruchslosen
Form cines Reiseführers hat Burckhardt hier wirklich Zeitgeschichte gemacht.
Die besten Leser nämlich waren die Künstler, namentlich die Architekten.
Vielleicht ist die Architektur überhaupt die eigentliche Kunst Burckhardts ge-
wesen. Iedenfalls hat er hier am entschiedensten neue Werte geprägt.
 
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