Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,4.1918

DOI Heft:
Heft 19 (1. Juliheft 1918)
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Vom Schmerzenskind Kino
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14374#0016

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Vom Schmerzenskind Kino

rinnern wir uns inr Äberblick an den Weg! Von Kinderspielen kamen
wir auf ihn zn, das erste, was aüf ihm selber lag, war das Anschü-z-
sche Lebensrad. Ls war die älteste Vcrbindung von Augenblicksphoto-
graphien zur Darstellung von Bewegtem: wir sahen den Storch zum Ncste
fliegen und die Dogge in edeln Bewegungen dahinjagen. Dann kam dcr
eigentliche „Kinematograph" mit seiner Projektion auf die Fläche. Wer Augen
hatte zum Sehn, sah so viel Möglichkeiten vor sich, daß ihm bei all diesen
Zukunftsaufgaben vor Freude schwindeln konnte.

Was für Möglichkeiten waren das denn? Es ist an der Zeit, uns darauf
wieder einmal zu besinneu.

Das Kino gibt ein laut- und farbloses Bild bewegter Wirklichkeit. Zu-
nächst also: sein Bild ist stumm. Hier ist eine Lechnik fürs Auge, keine fürs
Ohr. Diese Stummheit bedeutet so wenig einen ästhetischen Mangel der Tech-
nik, wie die Stummheit der Malerei. Unsre Vorfahren hätten nicht an
jcdem besuchten Aussichtspunkt eine „Camcra obscura" aufgestellt, wenn sie
den Reiz des lautlosen, bcwegten Bildes nicht schon empfunden HLtten. Das
unzerstreute Bewußtsein nimmt die Augeneindrücke nicht nur stärker, sondern
auch feiner auf, und da nun alle Assoziationen von ihnen aus spielen, auch
inniger. Nur bei völligem „Schweigen im Walde" reitet die Märchcnfrau
auf dem Einhorn her. Nur wenn auf einem Gipfel alle fein stille sind, hebt
sich aus der Amschau ihre größte Stimmung auf. Wieviel trägt es zum
ästhetischen Eindruck des Wolkenlebens bei, daß wir die Wolkenbewegungen
nur sehn, daß sie lautlos sind! Wer immer ein Fernglas zu gebrauchen weiß,
kennt aber auch die Reize absichtlichen „Abblcndens" der Ohreneindrücke. Die
Augenbilder lösen sich dann aus der Wirklichkeit, sie „cntstofflichen" sich,
sie werden reiner, gcistigcr, künstlerischer, „poetischer".

Zweitens: das stumme Bild ist farblos. Auch das braucht ästhetisch
so gewiß keinen Verlust zu bedeuten, wie der Verzicht des Schwarzweißkünstlers
auf die Farbe. Es bedeutet an sich vielmehr wiederum nur eine noch festere
Sammlung des Jntercsses, auch diese Beschränkung also kann eine Aus-
schaltung von Störungen und dadurch eine Erhöhung des Genusses ver-
schaffen. Selten wie die Natur lautlos ist, selten ist sie auch farblos, seltener
noch, fast nie. Abcr Nachtlandschaften und Schneelandschaften können sich
der Farblosigkeit nähern, deshalb empfindct jedes für diese besondern Werte
empfängliche Auge ihre „Schwarz-Weiß-Werte" sofort. Auch, wo ihm die-
selben Landschaftstellen bei vollcr Tagesfarbigkeit „bunt" und „nüchtern" er-

p Iuliheft rs,8 jXXXI,
 
Annotationen