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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,4.1918

DOI Heft:
Heft 19 (1. Juliheft 1918)
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Schumann, Wolfgang: Stefan George
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https://doi.org/10.11588/diglit.14374#0026

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Stefan George

ieder einnral herrscht Lärm in allen Gassen der Literatur. Nene
^F D^Leute sind angekommen, suchen Wohnung, verbinden und verbündcn

sich, schimpfen auf ungefähr alle, die schon in ruhigen tzäusern wohnen,
veranstalten allerlei, um das Volk anzulocken, betätigen sich als Bußprediger,
Barfüßer, Seher, Wahrsager, Derwische oder auch Exzentrics. Unangetastet
lasseu sie das einsame Schloß am Weiher, mit den mancherlei Vorhöfen, wo
spärlicher Opferrauch aufsteigt. Ist es schon vergessen? Vor mir liegt der
zweite Sammelband der „Blätter für die Kunst". Berlin BVH. Das schöne
Papier noch unvergilbt, der Druck noch klar und scharf. Der Inhalt? Bei-
träger waren: Paul Gerardh, Karl Wolfskehl, Ludwig Klages, Ludwig Der-
leth, Richard Perls, Leopold Andrian, August Oehler, Lothar Treuge, Henry
Heiseler — nicht einer von allen diesen und von einer großen Schar wei-
tercr Iünger des Kreises „lebt" noch als Dichter, es sei denn im völlig Ver-
borgenen. Selbst Hugo von Hofmannsthal schweigt; und Karl Gustav Voll-
moeller gar hat sich dem Markt hingegeben. Einzig der Gründer und Führer
des einst so hoffnungsvollen Kreises, Stefan George, zählt noch zu den
„lebenden" Dichtern, wie sonst einzig Friedrich Gundolf noch zn den lebendcn
geistigen Kräften der Gegenwart zählt. In dem Bande lese ich: „Langsam
sehen wir aus kleinem kreise sich in unsern deutschen mittelpunkten entwickeln
was wir seit jahren nur in den nachbarländern bemerken konnten: jenseits
einer bloßen zusammenrottung gewisser berufsklassen zu berufs- und unter-
haltungszwecken eine geistige und künstlerische gesellschaft die sich verbunden
fühlt durch ganz bestimmte ablehnungen und bejahungen: durch ein beson-
deres lebensgefühl." „Dies läßt in uns die hoffnung aufkommen, daß einige
kunstschöpfungen die nicht durch das starke einzelwesen allein sondern nur auf
der grundlage einer solchen gesellschast entstehen (vor allem das drama) anch
bei uns wachsen können." Die Hoffnnng ist vergebens gewesen. „dlHVIcl-
6II.OOdlO8QK^O (KIHOK) entsteht indem ein oder mehrere urgeister ihren
lebensrythmus offenbaren der znerst von der gemeinde dann von einer grö-

ßeren volksschicht angenommen wird. Dcr urgcist wirkt nicht dnrch seine lehre

sondern durch seinen rhthmus: die lehre mache die jünger." Soweit solche
Gedanken an deir „Urgeist" Stefan George anknüpften, sind sie zuschanden ge-
worden.

Was man auch für Hoffnnngen auf die geschichtbildende, weitwirkende Kraft
der Gcorgeschen Gründungen gesetzt haben mag, sie sind samt und sonders

erledigt. Weder im Schrifttum noch im Volksleben, weder in der „Gesell-
schaft" noch auf dcr Bühne, weder im Theater noch im Vorlesesaal ist ein
unmittelbarer odcr mittelbarer Einfluß von ihnen zu spüren. Vor fünfzehn
Iahren war noch ein Angehöriger des großcn Haufens, ein plumper Barbar,
wer das voraussah; heute ist, wer es sieht, nichts als ein Mensch, der seine
Augen öffnen kann oder sie nicht verschließen will.

Und George selbst, dcr Meister, der Führer zur „nächsten Zukunft mit

höherer Lebensauffassung, vornehmerer Führung und innigerem Schönheits-
bedürfnis"? „Leben" seinc Gedichte wirklich, nicht nnr im Glauben einiger
Mitglieder seiner Sekte und im Affcktationsbedürfnis einiger Literaten?

Stefan George, der nun Fünfzigjährige, hat viele Anfeindungen erfahren.
Manche haben ihm seine Verachtung der Zeit, seine bewußt autokratische Ge-
bärde, seine abgeschlossene Einsamkest übel genommen, wohl gar dahinter ge-
schäftliche Berechnung vermutet. Es liegt eine etwas voreilige Unduldsam-
keit in solchen Urteilen. George hat sie der „Wclt" gewiß nicht aufgedrängt, er
hat scine Bücher nur widcrwillig, wahrscheinlich aus Gründen technischer Be-
quemlichkeit, manchmal lange nach ihrem Entstehen, herausgegeben. Daß je-
mand die Menge flicht, einer ihn selbst vereinsamenden Lebensanschauung
huldigt und in Worten, die für Freunde bestimmt sind, das auch klar, aber
ohne böse Schärfe ausspricht, ist nicht mehr als anzuerkennendes Menschcn-
 
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