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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,4.1918

DOI Heft:
Heft 21 (1. Augustheft 1918)
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Ins fünfte Kriegsjahr!
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https://doi.org/10.11588/diglit.14374#0093

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Zns fünfte Kriegsjahr!

ätte uns jemand bei Ausbruch des Krieges gesagt: er geht mindestens
v^ins fünfte Iahr, vielleicht, der Mann wäre uns mit seinem Schwarz-
^/sehn so ungeheuerlich erschienen, daß wir ihn einfach nicht begriffen
hätten. Wir fühlten uns überfallen, wir wehrten uns, — wenn sie drüben
einsähen, daß es mit dem Totschlagen nicht anging, so müßten sie, meinten
wir, den Versuch doch ausgeben. Wie kindlich war das gedacht, wie wenig
rechnete es damit, daß eine über alles Vorstellen große Summe materiel-
ler Interessen für Deutschlands Vernichtung mit den Kriegserklärungen
nun einmal eingesetzt und daß der publizistische Welt-Apparat t>er Feinde
imstande war, auch die ideellen Interessen der Völker gegen uns zü mobili--
sieren. Nun scheint es, als sei die europäische Menschheit hilflos geworden.
Der Irrtum und der Irrwunsch, der Selbstbetrug und das bewußte Be-
trügen der andern, die Täuschung in allen Formen regieren. Es ist,
als wenn Europa brennen sollte, bis es in Trümmern und Kohlen liegt,
und als wenn im Zusammenfallen noch heimliche Glut bleiben sollte,
immer zum Aufflammen bereit, um das Letzte zu verzehren.

Aber diese trostlose Ansicht von unsrer Zeit ist doch nur ein Bild nach dem
Augenschein und nur nach dem Augenschein einer Seite. So könnte man ein
andres Bild formen und etwa von einem heißesten Fieber der Menschheit
sprechen, das ihren Körper herabzehrt bis an die Grenze der Lebensmöglichkeit.
Vnd könnte sagen: wie viel Gutes an Muskel und Nerv mit verbrennt, ihr
wißt doch nicht, ob es im Gesamtleben der Nation wichtiger war, <rls das
Kranke, durch welches das Fieber kam. Wißt ihr, ob nicht gerade das Fieber
das Leben des Ganzen doch erhält? Wißt ihr, ob es nicht so viel weg-
brenneu mußte, damit der Organismus der Menschheit sich aus Neuem
und Gesundem wieder aufbauen kann, wie der Leib des Typhuskranken
nach der Krisis? Noch in hundert andern solchen Vergleichen könnte man
reden. Alle wären nur Abbildungen je eines Stückes von einer Seite.
Alle nur Vergleiche, die hinkten. Nnd alle nur Verkleiuerungen, da nichts
auf der Erde zu denken ist, was umfassender wäre als diese Wirklichkeit
und deshalb nichts, das fähig wäre, sie größer fühlen zu machen, als sie
aus sich selbst heraus für den zu fühlen ist, der ihr nachsinnt.

Wollen wir diese Zeit der apokalyptischen Reiter groß fühlen, müssen
wir bergauf. Von den wohlgepflasterten Gemeinplätzen, aus den Engen
der Ummauerten Gedankengassen, aus den lieben Gärten der Nur-Gemüt-
lichkeir und den Niederungen, wo die Interessen weiden, aus den Dünsten
der Denknebel müssen wir mit Kopf und Herzen dorthin bergauf, wo Frei-

Augustheft tS>s lXXXI, 2H

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