Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,4.1918

DOI Heft:
Heft 22 (2. Augustheft 1918)
DOI Artikel:
Cauer, Paul: Willenserziehung
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14374#0120

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Willenserziehung

^2^in Grundproblem der Psychologie ist durch den Krieg in neue Be-
I^^lcuchtung gerückt worden. Die reinste Geisteskultur wäre verloren, wenn
nicht die Fähigkeit des Wollens und des entschlossenen handelns hervor-
getreten wäre. Vicle, die zu Trägern des geistigen Lebens gehörten, werden
cs in sich selbst erfahren haben, wie sie den Trieb des Nachdenkens zurück-
drängen mußten, um nicht in Entschließungen gehemmt zu sein, die der Augen-
blick forderte, deren Folgen doch weit über den Angenblick hinausreichten.
Willensmenschen taten uns mehr not als Verstandesmenschen. Damit scheint
die Frage, welcher von beiden Kräften der Vorrang gebühre, entschieden zu
sein, jedenfalls für die populäre Meinung. Eben diese aber hält mit bcmerkens-
werter Zähigkeit an dem naiven Glauben fest, daß es gelingen müsse, mit
Derstandsgründen Gegner umzustimmen. Auf diesem Glauben beruht alles,
was man „Aufklärungstätigkcit" nennt, sowohl innerhalb der eigenen Reihen,
als auch im Auslande, während die Feinde praktischer von „Propaganda" sprechen.
Immer wieder drängte sich bei uns der Gedanke hervor: könnte man den
andern nur recht klar machen, wie die Dinge liegen, dann würden sie ein-
sehen, daß wir rccht haben. Vergebliche Hoffnung. Das Denkcn der Leute geht
nicht auf Erkenntnis der Wahrheit aus, sondern auf die Förderung des
eignen Vorteils. Worauf ihr natürliches Wollen gerichtet ist, das erscheint
ihnen als das Berechtigte, und leicht stellen Grüirde sich ein, um es als solches
zu erweisen. Geläufig ist nns das geflügelte Wort, in dem ein Gleichnis des
pessimistischen Philosophen, freilich stark verändert, fortlebt: der Wille spielt
auf und dcr Intellekt muß tanzen. Wer das längst zu wissen meinte,
mag doch entsetzt gewesen sein, wie furchtbar wahr es ist, wie ganz und gar
die Massen von blinden Begierdcn beherrscht werden. Die Völker, gewiß;
doch cbenso im eignen Volke die Parteien, die Stände, die einzelnen.

Aber darf das, was unwillkürlich geschieht, als Betätigung des Willens
gelten? Muß nicht gerade die Willenskraft aufgeboten werden, um dcn
Intellekt ans den Vasallendiensten, die er den Vegierden leistet, zu befreien?
— Betrachten wir die Aufgabe näher, die gelöst werden soll. Die größtc
Schwierigkeit liegt übcrall darin, daß die Menschen gar nicht merken, wie
ihre Denkweise von ihren Wünschen bestimmt wird, daß sie mit ausgespro-
chenen, oft wohldurchdachten Beweisgründen operieren, währcnd sie von un-
bewußten Beweggründen sich leiten lassen. Ls braucht nicht Henchelei zu
sein, wenn einer das als sittliches Gebot zu entwickeln weiß, was seinen
egoistischen Trieben Befriedigung schafft; oft, ja meistens, ist es Sclbsttäu-
schung. In die gilt es hineinzuleuchten, und das ist ein Werk der Einsicht.

Deshalb ist es ein irreführendes Schlagwort, wenn erklärt wird: es sci
verdienstlicher, die Massen von falschen Interessen zu befreien als von fal-
schen Mcinungen. Wie soll einer das anfangen? Er kann andere, stärkere

2. Augustheft id>8 (XXXI, 22>

92
 
Annotationen