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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,4.1918

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Heft 23 (1. Septemberheft 1918)
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Kamphoevener, Elsa Sophia von: Vom Schweigen des Morgenlandes
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14374#0169

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hat nicht die Art, Geschrei mit Geschrei zu erwidern. Er bleibt ruhig
stehen und betrachtet den anderen erstaunt, welcher so gar keine Zeit hat.
Möglich auch, er läßt sich einmal ein Stück weit mitschleppen. Dann wird
er sicher bald an die Stelle zurückkehren, wo er seinen goldenen Becher
fallen ließ. Und ihn wieder aufnehmen und den Traum von Schönheit,
Andacht und Ruhe weiterspinnen.

Was also hätten wir dann erreicht? Viel Energie wäre verpufft für
nichts. Wenn es auch im Orient eine Anzahl Sprudelköpfe gibt, die
voll von Tatkraft und Willen zu allem Neuen sind, eben weil es neu ist,
und die ihre Pläne wohl auch einmal verwirklichen, so bringen diese
Einzelnen doch keine Volksumwälzung von innen heraus zustande. Aus
dem Innern des Volkes heraus müßte sie aber wachsen, aus seiner letzten,
halb unbewußten Äberzeugung — wenn sie Bestand haben sollte. Sonst
wäre wohl eine äußere Umwälzung zu erzielen, eine innere Erstarkung
aber nicht. Wie das dem Orient gegenüber anzufassen sei, derlei Fragen
zu erörtern ist die Zeit noch nicht reif. Heute kann nur darauf
hingetviesen werden, es darf niemals vergessen werden, daß des
Morgenlandes Leben nicht ist, wie das Leben anderer Völker,
daß sein Streben und Wollen anders ist, als das unsrige. Es
muß betont werden, mit niemals nachlassendem Nachdruck, daß
die Welt, die dort blüht und atmet, nur ganz lose zu den großen
Verkehrszentren Europas in Beziehungen steht. Dort ist eine Welt,
die von dem Ruß unsrer Fabrikschlote noch unberührt blieb. Eine Welt,
der alles Laute und alles Eilige verhaßt und ein Lkel ist, und die nur
dem Drucke der äußersten Notwendigkeit folgend sich in den Kampf um
das Recht ihres Bestehens an der Seite unsres Abendlandes gestürzt hat.
Sie haßt das Abendland nicht, aber sie mißachtet es,- es scheint ihr nich-
tigen Dingen nachzueifern und seine Gedanken leeren Fragen zu widmen.
„Das Abendland setzt sich ein," so fragt der Orient, ,,für was? Was ge-
winnt es, wenn es seine Ziele erreicht? Macht. Macht lag auch einmal
in den Händen des Orients; die Zeit nahm sie ihm . . . lebt er nicht
heute noch? Er hat seine Kraft behalten,, und wenn er auch die Aus-
dehnung seiner Kraft verlor — wer kann sagen, ob er sie nicht einstmals
wieder erhalten wird, auch die Macht? Gott hat noch weit größere
Dinge getan, als dieses! Inzwischen laßt uns sehen, daß wir leben,
wie es das Gebot will. Das Gebot ermahnt uns zur Ruhe uird Be-
herrschung unseres Willens. Wie wir uns im Einzelnen stärken an
diesem Gebot, so werden wir uns auch im Ganzen stärken, da wir ja unter
der Sonne Gottes, in seinem Schweigen unsere Kräfte sammeln." So
spricht der Orient in seinem geheimen Denken zum Abendlande. Hört
ihn das Abendland nicht? Versteht das Abendland nicht die Gewalt
dieses wartenden Schweigens, das die Seelen nicht erschließt, außer für
den, der es begreift? Fühlt das Abendland nicht, wie ties der Strom
ist, der zwischen Abend und Morgen rauscht, daß es versucht, hinüber-
zuspringen, als sei er eine Pfütze, für geübte Turner zu „nehmen"?

Das Morgenland wird eines Tages zeigen, wie unüberwindlich die
Gewalt seines Schweigens ist. Else Marquardsen-Kamphövener
 
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