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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 32,1.1918

DOI Heft:
Heft 1 (1. Oktoberheft 1918)
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Avenarius, Ferdinand: Das Windmühlensterben
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https://doi.org/10.11588/diglit.14375#0031

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Das Windmühlensterben

hat nichts von Menschenhand gegeben, was außerhalb der Ortschaften

stark den Eindruck der norddeutschen Ebene mitbestimmte, wie die Wind-
^^^mühlen. Oft waren sie anch architektonisch das Schönste weit nnd breit; die
Kunstbau-Moden waren an ihnen als reinen Zweckbauten vorübergegangen, sie
waren entstanden nnd sie entstanden weiter aus der Zweckmäßigkeit nnd dem
natürlichen Schönheitsgefühl, und vor allcm: sie entstanden innerhalb alter
Äberliefernng. Daß sie schon des Windes wegen vereinzelt stehn oder aus niedri--
ger Ilmgebung aufragen mußten, machte sie fürs Beschauerauge groß, in ge-
wissem Sinne: monumentalisierte sie übcrall — doch gab es und gibt ver-
einzelt noch in und bei Städten auch an sich mächtig große Windmühlen über
dem Dächergewirr. Nun verlieh das Windmühlenwesen der aiederdeutschen
Landschaft noch einen ganz einzigartigen Ausdruckswert obendrein. Durch die
doppelte Bewegung: das langsamere oder schnellere Kreisen der großen Flügel
und die wechselnde Stellung der Mühle je nach dem Wind. Der Mind, der
in der Liefebene ja die Bäume nach seiner vorherrschenden Richtung „dreht",
er sprach durch die Windmühlen auch von seinem unmittelbaren heutigen
Leben immerfort, In anderer Weise als die ziehenden Wolken. Äuch bei
blauem tzimmel. Durch den Wandel der Stellungcn, der Schnelligkeiten nnd der
Beleuchtungen, immer wieder anders wirkten die Mindmühlen mit, nm das
Bild der niederdeutschen Ebene zum Ausdruck des lebenden Miteinanders
von Erde und Luft in jeder Stunde zu machen.

Nun heißt es: sie haben sich überlebt, die Dampfmühle siegt, die Windmühle
stirbt. „Windmühl-Fraustadt" hatte noch s883 nicht weniger als Mindmühlen,
jetzt sollen nur noch wenige da sein, auch „Windmühl-Guhrau" verdient seinen
Mamen nicht mehr, die „Windmühlen-Straßen" uick> „Mühlen-Gassen" sind
fast überall nur noch „historische" Namen, und schwerlich ist unter den Lesern
dieser Zeilen auch nur ein einziger, der nicht aus eigner Erinnerung vom „Tode"
mindestens einer ihm liebgewesenen Mühle weiß. Der Krieg hat manche
wieder in Betrieb gebracht, wo die Kohlen fehlten, andern aber auch den
Gnadenstoß versetzt. Ob das „wirtschaftlich" so sein muß, ob es wirklich nicht
angeht, die unentgeltlich, aber auch unbeständig arbeitende Wind-Kraft zu
weiterm Mühlen-Gebrauch, vielleicht mit geringer Anderung der alten Form,
aufzuspeichern, das kann unsereiner nicht beurteilen. Er muß das llrteil der
Cechniker hinnehmen.

Aber er darf an die Aufgabs erinnern, daß man die hier noch erhaltenen
Werte nicht ohne Not aufgebe, daß man rette, was sich retten läßt. Allein
auf dem kleinen Fleckchen Land, das ich bis zu Kriegsbeginn allsommerlich bc-
suchte, auf Shlt, sind die beiden allerschönsten Windmühlen, die stolze von
Keitum und die von Munkmarsch*, die geradezu als ein Wahrzeichen der Insel
übers Meer grüßte, nur der Anterhaltskosten wegcn zugrunde gegangen —
unzweifelhaft bci vielen Hundertcn im plattdeutschen Land ist es ähnlich ge-
wesen! Nicht nur die Heimatschutz-Verbände, auch die Stadt- und Staats-
Behörden müßten dauernd aufmerken, wo derlei droht, und die bescheidenen
Beträge zum Erhalten anfbringen. Den für das Landschaftsbild wichtigsten
Windmühlen muß Denkmals-Wert zugesprochen werden, als Denkmäler
muß man sie erhalten und als Denkmäler pflegen. Oder das Landschafts- und
Lebensbild, das mehr als ein halbes Iahrtausend lang der Ausdruck des
Niederdeutschen war, versinkt für alle kommenden Geschlechter durch uusere
Gleichgültigkeit unter den Horizont. A

* Abgebildet findet sie der Leser Kw. XXIII. Ig., Hest 25.
 
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