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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 32,1.1918

DOI Heft:
Heft 3 (1. Novemberheft 1918)
DOI Artikel:
Tönnies, Ferdinand; Crusius, Otto: Im Gedenken an das Reformationszeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.14375#0111

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Jm Gedenken an das Reformationsfest

Uetzt vor einem Iahr feierten wir alle den vierhundertsten Gedenktag der
Reformation! Die beiden folgenden Aufsätze zweier besonders angesehener dent--
scher Forscher und Denker mögen in diesen ernsten Tagen daran erinnern.^

^^^ie Losreißung von der römischen Kirche hat jicherlich für die Protestanten-
ILäirder sehr allgemeine und tiefreichende Folgen gehabt. Insbesondere hat
sie der wissenschaftlichen Bildung eine freiere Bahn eröffnet.
Nicht als ob sie nnerläßliche Bedingung für die Pflege der Wissenschaften ge-
wesen wäre. Das Beispiel Italiens, nnd besonders dasjenige Frankreichs, lehren
das Gegenteil. Ia, das wirkliche Freidenkertum fand in Frankreich einen bessern
Boden als in Großbritannien. Während aber die Blütezeit der französischen
Literatur, zumal die der Bühne, noch im Kirchentum, wenn auch in einem frei
nnd geistreich aufgefaßten, von der neuen Philosophie befruchteten, ruhte,
so ist in Dentschland in offenbarem Zusammenhange mit einem teils ratio-
nalistisch, teils pietistisch-poetisch aufgefaßten Protestantismus die Glanzperiode
entstanden, die nns als das Volk der Denker und Dichter dem Anslande vorstellte.
Lin oberdeutsches und «in niederdeutsches Schrifttum hatte es längst gegeben.
Die Vereinigung und Ausgleichung ist, wie in allen Ländern, das Werk des
Verkehrs und der verallgemeinerten Bildung. Daß aber die hochdeutsche Schrift-
sprache siegreich wurde, verdankt sie ersichtlich dem Protestantismus. Als Kirchen-
und Schulsprache drang sie, zusammen mit der lutherischen Bibel und den an
sie angelehnten Gesangbüchern, durch, zuerst als die vornehmere Sprechweise der
Geistlichen selber und des Adels, als der herrschenden Stände, von denen sie
dann ins städtische höhere Bürgertum und allmählich in tiefere Schichten über-
ging: ein Fortgang, der noch nicht vollendet ist. An die Stelle der zerbrochenen
größeren Linheit der lateinischen Kirchen- und Kultursprache traten also nun
kleinere Einheiten: der Anterschied, daß jene nicht, wohl aber diese ins tägliche
Volksleben übergingen, ist bedeutsam.

Aber die Sprache der Römer hat bekanntlich mit der Kirchensprache ihre
Wirkungen auf das Geistesleben der protestantischen Nationen nicht eingebüßt.
Sie sind bis zur Stunde noch gewaltig, wenn auch ihre Minderung sich nicht
verkennen läßt.

Wenn aus deu Kirchen verdrängt, so blieb doch die lateinische Sprache die
Sprache der Äheologie, ja die Sprache der Hochschnlen überhaupt — in denen die
theologische Fakultät den ersten Platz behauptete, bis ins s8. Iahrhundert. And
erst um die Reformationszeit hatte sie das Studium des Griechischen in ihr
Gefolge gezogen; zusammen stcllten sie nun als die klassischen Sprachen
und als die Träger vorchristlicher — und doch außerjüdischer — Kunst und
Literatur sich dar. Wenn die Theologen noch in erster Linie des Lateinischen
mächtig sein mußtcn, um den Hutterus (das Lehrbuch der luthcrischen Dogmatik)
und aber auch dcn Augustinus zu lesen, wenn sie Griechisch lernten, um das
Mvuiu, wie Ebraeisch, um das Vetus Isstumentum in Ursprachc zu verstehen;
wenn auch die Iuristen zunächst am Oorpus äuris Oivilis ihre lateinischen Zähne
zu wetzen hatten, so sorgten doch die Schulmeister — meistens theologischer
Herkunft und Bestimmung — dafür, daß man mehr und mehr in den Werken
des früheren heidnischen Zeitalters die Muster kennen und bewundern lernte,
die zu einer neuen Art von Lrbauung des gebildeten Sinnes und Geschmackes
weisen sollten, einer Erbauung, die mit der sonst üblichen und noch immer
für heiliger gehaltenen in scharfen Wettbewerb trat. Das ist die Signatur des
Humanismus, der schon vor der Reformation seine Schwingen mächtig entfaltet
hatte und, ungeachtet der Neubelebung und Vertiefung der Frömmigkeit, die
diese bringen wollte, doch in ihr und mit ihr durch die Lande flog. Auch
innerhalb der alten Kirche wußten die Iesuiten, die als deren Aufgab«
«rkannten, in Anpassung an den Zeitgeist, daher in und mit Einräumungen
an diesen, sich zu erhalten, des Humanismus nnd der humanistischen Pädagogik

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