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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 32,1.1918

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Heft 4 (2. Novembereft 1918)
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Luther, Arthur: Turgenew: zum hundertsten Geburtstag
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Ein Turgenjew-Strauß
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https://doi.org/10.11588/diglit.14375#0140

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heitlicher, klarer, fester in ihrem Wesen sind, als seine Männer! Aber
der Zweck dieser Zeilen war nicht eine „Würdigung", sondern bloß eine
Anregung. Arthur Luther

Ein Turgenjew-Strauß

sEine schöne Gesamtausgabe dcr Werke Turgenjews in deutscher Sprache
war bei Georg Müller in München im Erscheinen, als der Krieg ausbrach.
Von den „Gedichten in Prosa" gibt es eine gute Ausgabe im Insel--Vcrlag.
Die Hauptwerke Turgenjews sind aber alle auch bei Reclam erschienenZ

Am Rhein

^»^ieses Städtchen gefiel mir wcgen seiner Lage am Fuße zweier hoher
Dhügcl, wegen seiner altersschwachen Mauern und Türme, wegen seiner
Linden, wegen dcr steilen Brücke über dem klaren Flüßchen, das
sich in dcn Rhein ergießt, — hauptsächlich aber wegen seines guten Weins. In
den engen Gassen promeniertcn abends gleich nach Sonnenuntergang (es war
im Iuni) allerliebste blondhaarige deutsche Mädchen und riefen, wenn sie einein
Frcmden begegneten, freundlich: „Guten Abend". Manche von ihnen gingen
auch dann noch nicht hcim, wenn der Mond hinter den spitzen Dächern der
alten Häuser emporstieg und die kleinen Steine des Straßenpflasters von seinen
ruhigen Strahlen hell beleuchtet dalagen. Ich liebte es, dann in der Stadt
umherzuschlendern; es war, als ob der Mond vom reinen Himmel her un°
verwandt seinen Blick auf die Straße richtete und die Stadt diesen Blick emp--
fand und nun still und aufmcrksam dastand, ganz übergossen von seinem Lichte,
das dabei noch zugleich die Seele leise erregt. Der Wetterhahn auf dem
hohen gotischen Kirchturme glitzerte in bleichem Goldglanze; in demselben
Goldglanze schimmerten einzclne Strcifen auf dem dunklen Wasserspiegel des
Flüßchcns. Dünne Kerzen (denn der Deutsche ist haushälterisch) brannten be--
scheiden hinter den schmalen Fenstern unter den Schieferdächern; die Wein-
stöcke streckten geheimnisvoll ihre gewundenen Ranken über die steinernen Ein-
fassungsmaucrn herübcr; da huschte bei dem altertümlichcn Vrunnen auf dcm
dreieckigen Marktplatze etwas im Schatten vorüber; plötzlich crscholl das schläf-
rige Pfeifen des Nachtwächters und sein gutmütiger Hund knurrte halblaut;
die Luft umschmeichelte einem ordentlich das Gesicht, und die Linden dufteten
so süß, daß die Brust unwillkürlich immer tiefer und tiefer aufatmete und der
Name „Grctchen" halb als Ausruf, halb als Frage sich einem geradezu auf
die Lippen drängte.

Das Städtchcn liegt zwei Werst vom Rhein entfernt. Ich ging vft hin, um
den majestätischen Strom zu betrachten, und saß dann stundenlang auf einer
Stcinbank untcr ciner einzeln stehenden mächtigen Esche. Eine klcine Bild-
säule der Mutter Gottes mit fast kindlichem Gesichtsausdruck und auf der Brust
mit cincm roten Herzen, das von Schwertern durchbohrt war, schaute traurig
aus dcu Asten des Baumes hervor. An dcm gegenübcrliegendcn blfer lag ein
Städtchcn, das etwas größer war als das, wo ich wohnte. Eines Abends saß
ich auf meiner Lieblingsbank und blickte bald nach dem Flusse, bald nach dem
Himmel, bald nach den Weinbergen. Vor mir kletterten blondköpfige Knaben
auf den Seitenwänden eines Kahncs herum, den man ans Ufer gezogen und
umgestülpt hatte, so daß der geteerte Bauch nach oben lag. Schiffchen zogen mit
schwach gcblähten Segeln sacht dahin; die grünlichen Wellen glitten, nur wenige
sich hebend und nur leise rauschend, vorbei. Da trafen mein Ohr die Klänge
einer Musik; ich horchte auf. Drüben wurde ein Walzer gespielt, ein Kontra-
baß brummte in abgerissenen Tönen; undeutlich erklang der weiche Ton ciner
Geige; keck und munter gellte eine IMe. „Was ist da los?" fragte ich einen
herankommenden alten Mann in Plüschweste, blauen Strümpfen und Schnal-
lenschuhn. Er schob das Mundstück seiner Pfeife aus einem Mnndwinkel in
dcn andcren. „Da? Da sind Studenten aus Bonn zu einem Kommers."

(Aus „Asja" fO. Hendelsche AusgabcZ.)
 
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