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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 32,1.1918

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Heft 6 (2. Dezemberheft 1918)
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Molo, Walter von: Selma Lagerlöf
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Avenarius, Ferdinand: Und noch einmal: Weihnachten
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https://doi.org/10.11588/diglit.14375#0220

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viel mehr regiert diese Frau souverän, völlig unbekümmert um die Lnt--
setzensschreie Ängstlicher, Bedenkenüberfüllter, zum Sieg. Die große Kunst
der Lagerlöf, die Inbrunst ihrer dichterischen Äberredung, vermag alle
geheimen und wilden Schößlinge des Seelenbesitzes zu einer Blüte von
berauschender Fülle und Seltenheit zu treiben und zu binden. Dieser Zu-
sanimenrafsung alles Vorhandenen im Stofflichen entspricht die Verwen-
dung aller Darstellungsmittel. Die Technik der Lagerlöf ist, wie der In°
halt des Gegebenen, nie Selbstzweck; beides ist Handwerkszeug, um immer
wieder den Gralsschein der Seele leuchten zu lassen. Die Lagerlöf ist dra-
matisch und episch, modern, historisch und unmodern; sie beherrscht den
Dialog gleich wie die Schilderung, sie geht, wenn's ihr paßt, Schrittlein
für Schrittlein, sie überspringt, wenn's ihr nötig erscheint, jeden Ab°
grund, sie pinselt und strichelt hin und her, sie legt mit einem oder zwei
Sätzen jeden Charakter, mag er noch so kompliziert sein, hin. Sie findet
manchmal schwer den Schritt, sie spitzt mit geistvoller Schärfe die mensch-
liche „Tendenz" in einen Satz. Ihr ist nichts unmöglich, weil der er-
lösenden Liebe alles möglich ist! Sie hat zu viel geschrieben und doch zu
wenig, sie malt fast immer die Schönheiten ihrer schwedischen heimat, doch
der Polarstern ihres Einfühlvermögens steht über der ganzen Welt;
der Stern wandert mit dem Lrlöser der Schwere! Sie ist durch und durch
germanisch, doch sie dankt dem größten Slawen, Dostojewski, das meiste!
Ihre Seele ist die schwedische Volksseele in ihrer tiefgründigen Verspielt-
heit, doch ihr gehört die Welt, deren gesamte Pracht sie in sich trägt. Sie
ist die liebreichste Mutter, ohne Mutter zu sein, sie bildet die Sagen und
Märchen ihrer Heimat; es sind die allgemein gültigen, auch in unseren
Tagen in jedes Menschen Leben im letzten Sinne sich stets wiederholenden
Sagen und Märchen aller Menschen, die Sehnsucht tragen und den Him-
mel suchen. Sie ist naiv und aufs äußerste raffiniert; sie ist Unterhaltungs-
schriftstellerin mit der Weltanschauung und dem Können der reifsten Kunst;
sie ist die reinste Seele, die seit Goethe und Hölderlin am Werke war!
Sie ist Künstlerin, weil sie ein großer Mensch ist! Sie löst das Rätsel,
das sich unablässig in ihren Werken löst, die zum bedeutendsten Besitze
dessen gehören, was das Menschengeschlecht, zu seiner Erderlösung, hie-
nieden aufzubauen vermag. Sie ist die lebendige wirkende Summe des
Göttlichen, das sich zu höchst lobt, dadurch, daß es unverlöschbar in der
Menschheit, in deren Besten, brennt! Sie ist die Lagerlöf.

Walter von Molo

And noch einmal: Weihnachten

^L^ann sich von uns Alteren einer dem Weihnachtszauber entziehn? Ich
A^jedenfalls kann es nicht, obgleich die Budenherrlichkeit heut lange nicht
^ ^mehr so Rembrandtisch-Raabisch aussieht wie damals um den Berliner
Schloßplatz herum zur Zeit der Sllämpchen — ich brauche nur die ersten
Tannenbäume auf den Straßen aufinarschieren und die ersten Bähschäfchen
und Nußknacker zu sehn, so kommt die Kinderwärme in mein siebentes
Lebensjahrzehnt doch sicher. Der Weihnachtsgeist wird auch diesmal bei
uns sein, dieses Mitsammen von Deutschheit, Christentum, Naturfreude.
Kinderglück und Märchengeist. Ganz sicher, und wenn heuer teure Schatten
mehr, viel mehr als je vorher um den Lichterbaum schweben, ein noch so leiser
Glanz, aber ein Glanz von ihm wird auch auf ihren stillen Augen wider-
spiegeln. „Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden, und den Men-

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