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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 32,2.1919

DOI Heft:
Heft 9 (1. Februarheft 1919)
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: An die Mitglieder der Nationalversammlung
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https://doi.org/10.11588/diglit.14376#0080

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An die Mitglieder der Nationalversammlung

Meine Herren nnd Frauen!

^-v^-erden Sie, wenn diese Zeilen gedruckt sind, gewählt, zusammen-
» Kgetreten, nicht irgendwie „behindert", werden Sie als National-
^^»^versammlung d a sein? Mehrere Wochen sind ja heut eine Zeit
unausdenkbarer Möglichkeiten, ich wende mich an Sie auf eine unsichere
Hoffnung hin. Denn während ich diese Zeilen schreibe, sind wir da über--
haupt noch in Deutschland? Unsre Straßen laufen über denselben Boden
wie einst, und in ihnen wohnen dieselben Menschen — trotzdem, sind wir
noch in Deutschland? Meine Herren und Frauen, vielleicht schon in
Ihrer Heimat, sicherlich in der Großstadt, ist schon über jedeu von Ihnen
das Weh gekommen: er erkannte sein Volk nicht mehr.

Ilnd wenn Sie dann nur mit sich selber zusammen sind, und wenn es
im Zimmer so still ist, daß Sie den eignen Herzschlag hören, dann fragen
6ie sich: war unser Volk reif zur Demokratie? Und denken an Spartakus
und lächeln bitter. Sehr viele von Ihnen wünschen dies oder das, was
Ihnen richtiger und vernünftiger erscheint, was Ihnen lieber wäre als
Demokratie. Aber kein undemokratksches Wunschland könnten Sie sich
verwirklicht denken ohne irgend ein „Wenn", und nach dem harten Zeugnis
der Tatsachen gilt von allen diesen „Wenn" leider keins. Was würde
das fördern, wenn wir weiter Wunsch-Politik unter falschen Voraus--
setzungen triebey? Haben die letzten Iahre unser Volk noch nicht furcht-
bar genug belehrt? Die Geschichte hat die Demokratie gegeben, denn
nunmehr haben die Massen die Macht, sie ist. Wäre jetzt kraft-
gesättigter Fr^den, vielleicht, Sie brauchten sogar den großen Kampf im
eigenen Volkeknicht zu scheuen. Ietzt müssen Sie das, denn jetzt würde
der Kampf gegen die Demokratie zu allen Kämpfen der Zeit denjenigen
bringen, der unsern Resten den Rest gäbe. Während dieser Reste doch
immerhin noch so viele sind, wie von einer Ernte das Saatkorn. Ietzt
gilt es, dieses Saatkorn auszunutzen, daß keine Handvoll lebentragender
Keime mehr verloren geht, jetzt gilt es, den gegebenen Boden ge-
meinsam zu bebauen.

Meine Herren und Frauen, wir, in deren Namen ich sprechen darf,
bitten: fassen Sie, fassen endlich Sie den Gedanken der Verbün-
dungsnotwendigkeit als den Gedanken, der über unsre Zukunft
entscheidet. Wie viel spricht man von ihm und wie wenig durchdenkt
man ihn — ist er denn nicht einfach genug? Ist es nicht klar, daß wir,

Februarheft f-is (XXXII,

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