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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 32,2.1919

DOI Heft:
Heft 11 (1. Märzheft 1919)
DOI Artikel:
Spranger, Eduard: Treue gegen Wahrheiten
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https://doi.org/10.11588/diglit.14376#0130

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Treue gegen Wahrheiten

^^-s muß heut dafür gesorgt werden, daß die Menschen die Wahr--
E^heit ihrer letzten Iahre nicht mit Füßen treten. — Ia, gibt es denn
s^>^so etwas: eine Wahrheit sür Iahre? Sind Wahrheiten nicht zeitlos,
nnd kann eine vergängliche Äberzeugung Wahrheit sein? — In der Mathe-
n.atik ist es freilich so, daß ein Satz gilt, schon lange ehe ihn eine Seeke
entdeckt hat, und noch immer gilt, wenn ihn alle wieder verlernt haben
sollten. Aber die Wahrheit der geistigen Standpunkte ist nicht nur vom
ewigen Gehalt, sondern eben auch vom Standpunkt abhängig: sie gilt
für den Menschen auf einer bestiminten Entwicklungsstufe und im Zu°
sammenhang einer bestimmten geschichtlichen Lage. Gerade die sittlichen
und religiösen Wahrheiten schließen daher Wandelbarkeit und Entwick--
lung ein: wir besitzen den himmlischen Schatz nur in den irdenen Gefäßen
der „Äberzeugung".

Ich habe also ein Recht, etwas meine Wahrheit zu nennen, weil
ich um sie gerungen und gekämpft habe, weil sie der Ausdruck der von
mir erreichten inneren Stufe ist. Sie gehört zu mir, auch wenn ich nach
Iahren auf einer andern Stufe stehen und mich geistig mit ganz neuen
Verhältnissen auseinandersetzen müßte. Dann aber hat jene „alte" Wahr-
heit nicht aufgehört, ein Stück von mir zu sein, und ich bin ihr Ehrfurcht
schuldig, oder ich erwecke den Verdacht, daß es mir mit mir selbst nie ernst
gewesen ist.

Vier Iahre haben wir im Kriege gelebt, nicht nur im Krieg, sondern
für den Krieg. Er ist unser erster und letzter Gedanke in 50 Monaten
gewesen. Damals, in der Augustbegeisterung 1911, glaubten wir unser
bestes uud höchstes Inneres erst entdeckt zu haben: es war gar kein
Schwankeu in uns allen,- eine heilige, strömende, überquellende Be°
geisterung füllte uns aus. Aber es war auch keine bloße Feuertrunken-


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