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Dézallier d'Argenville, Antoine Joseph
Leben der berühmtesten Maler: nebst einigen Anmerkungen über ihren Character, der Anzeige ihrer vornehmsten Werke und einer Anleitung die Zeichnungen und Gemälde großer Meister zu kennen (Band 4): Von den Malern der Französischen Schule — Leipzig, 1768

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https://doi.org/10.11588/diglit.44058#0061
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Nicolaus Pouſſin.

des andern vergeſſen. So wie Timanthes vormals
beym Opfer der Jphigenia das Geſicht des Agamem-
nons bedeckte, um den Ausdruck des großen Schmer-
zes und die Freude des Vaters in ſeinen Gemaͤlden nicht
zu uͤbertreiben: ſo verbarg Pouſſin in dem Gemaͤlde
vom Tode des Germanicus das Geſichte ſeiner Gema-
linn, der Agrippina, wie bereits an einem andern
Orte s) angezeigt worden. Dieſe beyden beruͤhmten
Kuͤnſtler befuͤrchteten, ſie moͤchten den waheen Aus-
druck der hoͤchſten Leidenſchaft nicht erreichen. Sie
wußten auf der andern Seite, daß man den Koͤnig
nicht durch Garden und praͤchtige Kleider, oder durch
den Aufſatz einer Krone unterſcheiden muß, ſondern
daß man die Klugheit und Guͤtigkeit auf ſeiner Stirne,
Muth und Feuer in den Augen, und die Majeſtaͤt in
ſeinem ganzen Weſen ſehen ſoll. Der Zorn und
Schmerz eines Koͤnigs erfordert einen ganz andern
Ausdruck, als bey einem gemeinen Manne. Die
Leidenſchaft muß bey dem erſtern viel gemaͤßigter ſeyn,
wie wir bereits in dem Vorberichte zu dem erſten Ban-
de erinnert haben.

Dieſer große Kuͤnſtler machte ſich bey jedermann
beliebt. Er war ſo wenig eigennuͤtzig, daß er den
Uleberſchuß wieder zuruͤck gab, wenn man ihm mehr
ſchickte, als er hinten auf dem Gemaͤlde geſchrieben
hatte. Zu den meiſten Gemaͤlden, die er wegſchickte,
legte er einen Brief, worin er die Gruͤnde von allem,
was

s) Jm Leben des Leonhard da Vinci, ſiehe den erſten
Band, S. 209.
 
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