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Beck, Paul [Hrsg.]; Hofele, Engelbert [Hrsg.]; Diözese Rottenburg [Hrsg.]
Diözesan-Archiv von Schwaben: Organ für Geschichte, Altertumskunde, Kunst und Kultur der Diözese Rottenburg und der angrenzenden Gebiete — 9.1892

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Miszelllen
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27

Miszrllen.
Die Franzvsen in Oberschwabein (Aus der Chronik
eines ehemaligen Klosiergeistlichen v. Weissenau.) Das Jahr 1 795.
Die Kriegstumnlte näherten sich nunmehr unserem Vaterlande. Be-
sonders merkwürdig war ein blinder Lärm, der sich an einem Donners-
tag, den 7. Juli, in der ganzen Gegend von Ulm bis an den Bodensee
verbreitete und alle, Hohe und Niedrige, in einen panischen Schrecken
versetzte. Nach dem Mittagsmahle kam nach Weissenau der Lärm, daß
die Armee des Prinzen Cond« im Anzuge sei und die verschiedenen
Corps desselben alles mit Feuer und Schwert vertilgen. Man sagte,
die beiden Flecken Aulendvrf und Altshaussn stehen wirklich im Brande,
und einige Stunden später verbreitete das Gerücht dasselbe von Baindt,
Altdorf und Weingarten. Pater Martin Lt. war damals Chorregent
in Weissenau. Dieser ging nach Tische Ravensburg zu. Doch schon
nach kurzer Zeit kam er fast außer Atem zurück und erzählte, daß die
Angst und Verwirrung in der Stadt unbeschreiblich sei. Nach seiner
Erzählung war die Gefahr groß und nahe, deshalb war er auch bedacht,
sich durch die Flucht zu retten. Zu diesem Zwecke bat er den Prior
um seine Dimissvrialien, die ihm auch sogleich ausgestellt wurden.
Einige andere Mitbrüder thaten dasselbe und nahmen Abschied unter
Thränen. Nur die Unentschiedenheit, wohin sie sich tuenden sollten,
hielt sie noch unter der Klosterpforte zurück. Alle übrigen sannen nach,
wie sie sich bei näherer Gefahr durch die Flucht retten sollten. Ich
selbst (der Chronikschreiber) suchte alle Briefe und Schriften zusammen,
die ich von Emigrierten aus Frankreich erhalten hatte, und um sie der
Gefahr eines mir und anderen schädlichen Mißbrauchs zu entziehen,
schob ich sie hinter die Kästen in der Bibliothek so tief hinab, daß sie
unmöglich wieder hervorgebracht werden können, bis diese Kästen einmal
aus der Mauer herausgerissen werden. Während dieser Angst wurden
wir doch zum Lachen gebracht. Bei uns lebte nämlich ein Mann, der
sich besonders viel auf seine Wissenschaft einbildete und sich für den
größten Gelehrten hielt. Dieser zeigte am meisten Angst, indem er
befürchtete, er werde von den feindlichen Soldaten als Geißel fort-
geschleppt werden, weil diese, wie er sagte, „überall nur die Gelehrtesten
mitnähmen". Zugleich hatte er auf die Kaiserin Katharina von Rußland
ein besonderes Vertrauen; von ihr hoffte er, eine vorzüglich gute An-
stellung zu erhalten. Der in seiner Einbildung grösste Gelehrte hatte
aber so wenig geographische Kenntnisse, daß er die Reise durch Tirol
und Italien machen wollte, um so auf dem nächsten Wege nach Ruß-
land zu kommen. Wir konnten uns, als wir das hörten, des lauten
Gelächters nicht enthalten, obgleich der gelehrte Mann sich dadurch sehr
beleidigt fand. Bald drang der Cvndöcr-Lärm auch auf die umliegen-
den Ortschaften hinaus. Fromme Frauen mit ihren Kindern kamen
in die Klosterkirche, um sich in christlicher Weise auf die Gefahr vor-
zubereiten. Aber es kamen auch Männer und Jünglinge ans den
Ortschaften Eschach, Oberhofen, Tvrkenwcilcr, Oberzell, Fidazhofen u. s. w.
in den Klosterhof, um ihre lieben Herren zu verteidigen. Sie waren
bewaffnet mit alten Säbeln, Mistgabeln und Furken, zuweilen auch
mit alten Schießgewehren. So unbedeutend diese angebotene Hilfe dem
Kloster auch scheinen mußte, so nahm man sie doch wohlgefällig an
und ließ die Leute in ihrem Eifer ganze Haufen großer Steine vor den
Thoren sammeln und in den Hof bringen, um den ersten Angriff mit
einem tüchtigen Steinhagel abzuweisen, dann erst wollten sie von ihren
Waffen Gebrauch machen. Ilm andern Tage verlor sich der Lärm
immer mehr, nnd die Leute, die während der Nacht unter den Waffen
geblieben waren, kehrten ruhig nach Hause zurück, um diese ihrer Be-
stimmung gemäß zum Feldbau zu gebrauchen. Weitere Beunruhigungen
kamen in diesem Jahre nicht mehr vor.
Aus dem Jahr 1 7 96. Wenn je ein Jahr reich an wichtigen
Ereignissen für diese Gegend war, so war es das Jahr 1796. Die
republikanische Armee der Franzvsen drang wegen ihres Waffenglücks
überall durch und trieb die Kaiserlichen, die Rcichstruppen und die
Condüer langsam vor sich her. Der Rückzug der Oesterreicher geschah
am Ende des Juli d. Js. auf der Straße von Altshausen gegen Waldsee
und Biberach. Hier entwaffnetcn die Oesterreicher die von den Reichs-
fürstcn, Ständen und Städten gestellten Truppen des schwäbischen
Kreises und schickten sie mit ihren Tornistern nach Hause. Da kamen
sie voll Unmut an, denn inan hatte ihnen die Schuld des Ueberganges
der Franzosen über den Rhein und ihres Vordringens im Badischen
bcigemessen. Die Armee deS französischen Prinzen Conde kam in den
letzten Tagen des Juli bei Ravensburg an, wo sie Erfrischungen zum
eilfertigen Wcitermarsche eiunahm. Da ich mit meinen Mitbrüdcrn
spazieren ging, trafen wir die Retirierenden an der Galgensteige an.
Der kommandierende General (entw. Cond« oder d'Artvis) redete unS
von seinem Pferde herab sehr freundlich an, und ich antwortete ihm
in lateinischer Sprache, wie er nnS angeredet hatte. Er grüßte uns
als Prämonstratenser und empfahl sich nnd seine Soldaten unserem
Gebet. Auch die vornehmsten Offiziere seiner Begleitung, besonders die

Chevaliers de Coronne, begrüßten uns und machten viele Komplimente,
die wir bestmöglichst erwiderten. Endlich am 4. August kam der Vvr-
trab des französischen republikanischen Heeres nach Weissenau, ließ sich
einige Erfrischungen geben und echte den Condöern nach. Doch von
der Hauptarmee bekamen wir keinen Mann zu sehen, weil diese die
untere Straße über Altshausen und Biberach marschierten. Schon
einen Tag vorher hatte General Jordis im Pfarrhanse Thaldorf
Quartier genommen, und nach zwei Tagen Ruhe zog er sich mit seinem
Armeecorps längs dem Bodensee nach Bregenz. Diese Stadt nahmen
die Franzosen leicht ein. Wohl thaten die österreichischen Soldaten ihre
Schuldigkeit, aber sie waren ohne Oberleitung; denn ihre Offiziere
waren zur Zeit des Angriffes der Franzosen in Mehrerau und ließen
es sich daselbst auf einem Balle wohl sein. Von dem weiteren Vvr-
rücken der Franzosen hörten wir lange nichts mehr, weil die Zeitungen
erst dann wieder anlangen konnten, als jene Augsburg passiert hatten.
Vom Anfänge des August bis Ende September lebten wir fast in
gänzlicher Unwissenheit betreffend die Vorfälle des Krieges. Am 29. Sep-
tember brachte man die fröhliche Nachricht aus der Stadt Ravensburg,
daß daselbst ein österreichisches Pikett eine französische Patrouille im
Gasthof „zum Adler" aufgehoben habe. Gleich als wäre schon die ganze
französische Armee über den Rhein zurückgeworfen, überließ sich alles
dem lauten Ausbruch von Freudengefühlen. Aber wir fanden uns
bald in unserer zu voreilige» Hoffnung bitter getäuscht. Gleich am
anderen Tage, dem 30. September (es war Freitag), hörte man gegen
Abend 3 Stunden lang fortwährend Kanonendonner von Weingarten
her. Wir standen in der schrecklichen Ungewißheit, wie das Gefecht, das
man wegen des gewaltigen Geschützfeuers für eine bedeutende Schlacht
halten konnte, endigen würde. Der Abend und die Nacht ging für
unsere Gegend ruhig vorüber, außer daß während derselben ein Corps
Oesterreicher sich auf der Straße nach Torkenweiler, Fidazhofen, Kem-
merlang und Oberhofen zurückzog. Samstags, den 1. Oktober, gab es
auf der Straße einige unbedeutende Plänkeleien, wo bald ein kleiner
Haufen französischer Infanterie die gegen Weingartshof vorrückenden
kaiserlichen Reiter nach Torkenweiler znrückdrängte, bald diese die Fran-
zosen wieder gegen Weingartshof jagten. Das Ganze hatte keinen An-
schein von Ernst, sondern man glaubte, nur beide Teile im Scherze
miteinander spielen zu sehen. Sv blieb es auch am Rosenkranzfest-
Sonntag, am 2. Oktober. Die beiden Generale (Franzosen) Ferino und
S. Jourdan hatten im Rahlen ihr Hauptquartier schon am Samstag
morgens aufgeschlagen. Der Klosterhof in Weissenau war voll fran-
zösischer Offiziere und Soldaten, die alle Augenblicke neue Forderungen
für sich und den Generalstab in Rahlen machten. Wenn man ihnen
nicht gerade ans den ersten Wink willfnhr, so drohten sie augenblicklich
mit Plünderung des Klosters. Weiber und Kinder von Mariathal,
Weingartshof, den Vogelhäusern und Weiherstobel hatten sich in die
Kirche zu Weissenau geflüchtet und zitterten vor Hunger und Kälte,
noch mehr aber vor Angst und Furcht. DaS Chorgebet wurde verrichtet,
die heilige Messe still gelesen. Die Orgel und die Glocken schwiegen,
stiller als am Karfreitage. Man hörte nur das Geräusch und daS
-parier- der Franzosen außer der Kirche und im Gastgebäude. Noch
ist zu bemerken, daß die Franzosen nach dem oben erwähnten Gefechte
Weingarten-Kloster und Altdorf plünderten. Das gleiche hätten sie ohne
Zweifel auch in Weissenau gethan, wenn nicht die sehr geschickten Be-
amten des Klosters: Konsulent Milz und Sekretär v. Belli, die der
französischen Sprache kundig waren, ihre Wut gemildert und ihre
Wünsche bestmöglichst befriedigt hätten. Am Abend jenes Gefechtstages
traf den Ort St. Christum ein harter Schlag. Während die Oester-
reicher teils auf der Straße nach Wangen, teils auf der Straße nach
Tettnang vor dem Feinde wichen, siel es dem Mesner in St. Christin»
ein, mit allen Glocken Sturm zu läuten. Wütend rannten die Fran-
zosen den Berg hinauf und plünderten die Kirche, das Pfarr- und
Mesnerhaus und alle Häuser im Orte ans. Sie raubten in der Kirche
die hl. Gefässe: Monstranz, Kelche, alles Weißzeug in der Sakristei und
ans den Altären, sie schnitten die Borten von den Meßgewändern. Sie
mißhandelten den vor Furcht zitternden Pfarrer, trieben Mutwillen mit
Frauen und Mädchen. Nachdem der Feind das Pfarrhaus rein auS-
geplündert, dem Pfarrer alles genommen, und was sie nicht mitnehmen
konnten, zerstört hatten, ging dieser ohne Schuhe und Kopfbedeckung in
schlechtein Anzuge den Berg hinunter nach Ravensburg, wo er bei seinem
Mitbruder, dem Pfarrer von St. Jodok, liebreiche Aufnahme und Sicher-
heit fand. Daselbst verblieb er bis zum Abzüge der Franzosen bis zum
5. Oktober. Von St. Christina zogen die Franzosen bis Fidazhofen,
Wcidenhofen nnd Strietach. Auf der Gnlgenstcig bis Oberzell hinaus
war die andere Hälfte derselben gelagert. Die ganze Rebhalde war voll
Soldaten, und da die Trauben eben reiften, so fraßen sie alle blauen
weg und trugen in Bettziechen nnd in ihren bis aus den Gürtel offenen
Hemden, nnd Ivo sie sonst etwas einpacken konnten, die Trauben ihren
Kameraden jenseits der Schüssen zu. Hätte es nur blaue Trauben
gegeben, so würde man keine Beere mehr bekommen haben. Es war
 
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