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Beck, Paul [Hrsg.]; Hofele, Engelbert [Hrsg.]; Diözese Rottenburg [Hrsg.]
Diözesan-Archiv von Schwaben: Organ für Geschichte, Altertumskunde, Kunst und Kultur der Diözese Rottenburg und der angrenzenden Gebiete — 10.1893

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Rueß, Bernhard: Das Schussenrieder Chorgestühl und dessen Meister, [3]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.15868#0081

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von Schwaben
— zugleich Organ für deutsche Wrcheugeschichte —
mit periodischer kirchengeschichtlicher Weltschau.
Regelmäßige Beilage zum Pastoralblatt für die Diözese Nottenburg.

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Mit einem Vereine von Geistlichen und in Verbindung mit Geschichtsgelehrten heransgegeben
von Or. Cngrlbrrk Hosrlr, Pfarrer in Ummendorf.
Korrespondenzen wollen gefl. direkt an vr. Engelbert Hofele, Pfarrer in Ummendorf b. Biberach, gerichtet iverden.

Nr. 20. Stuttgart, den 15. Oktober 1893. 10. Jahrgang.

Inhalt: Das Schussenrieder Chorgestühl und dessen Meister. Eins kunstgeschichtliche Monographie von Bernhard Rueß, Kaplan. (Fortsetzung
aus der Beilage.) — Beilage: Das Schussenrieder Chorgestühl und dessen Meister. Eine knnstgeschichtliche Monographie von Bernhard
Rueß, Kaplan. (Fortsetzung.)

Das Schussrnrirder Chorgestühl und dessen
Meister.
Eine kunstgeschichtliche Monographie von Bernhard Rueß, Kaplan.
(Fortsetzung aus der Beilage.)
Der Künstler macht aber bei feinen Sittenvorschristen
noch einen zweiten Schritt; er ladet den Beschauer seiner
Kunstleistung ein, von unten weg auch nach oben hin den
Blick izn wenden. Oben an den beiden Dorsalen hat der
Meister nämlich verschiedene Heiligengestalten angebracht,
namentlich aber vielfach den Bildern Jesu und Mariä einen
Platz eingeräumt. Was bezweckte er nun mit den Figureil
und Statuetten von Seligen, namentlich aber mit der viel-
fältigen bildnerischen Darstellung Mariä und Jesu? Antwort:
Der Künstler fordert zur Nachahmung ihrer Heiligkeit
auf; denn die Bilderreihe von Heiligen aus dem Ordens-
stande und von Geheimnissen aus der hl. Geschichte Jesu und
Mariä ist für den Beter ein mächtiges sursum coräu; ein
gewaltiger Ruf: Empor die Herzen! aufwärts zur Tugend und
aufwärts dann auch zum Himmel! Dort sind die Vorbilder
und die Christen sollen die Nachbilder sein. Die oberen Ge-
stühlspartien mit ihren Gestalten aus der Welt der Aus-
erwählten vermitteln somit immer wieder die eindringlich wie-
derholte Mahnung: Christen, führt ein tugendhaftes Leben!
In Christus und seinen Heiligen habt ihr die Vorbilder für
einen echt christlichen Wandel, daher blicket auf zu diesen Lehr-
meistern des Guten und ahmet diese glänzenden Muster der
Vollkommenheit nach! So ungefähr lautet der zweite Teil
der Sittenpredigt unseres Künstlers an die Kirchenbesucher.
Also negativ und positiv, warnend und mahnend ist der Lehr-
gehalt, welcher in unserem Kunstwerke niedergelegt ist. —
Was ehedem die zwei von der Hand des Moses behauenen
und vom Finger Gottes beschriebenen Steintafeln lehren
wollten, das verkünden auch die beiden gewaltigen hölzernen
Gestühlsdorsale mit den ihnen vorgelagerten Betstühlen in der
alten Schussenrieder Reichsstiftskirche. Die sittlichen Vor-
schriften, welche schon vor Jahrtausenden der Geist Gottes in
den zehn Geboten uiedergelegt hatte, zeichnete wenigstens dem
Kerne nach der Meister des Schussenrieder Chorgestühles
mit dem Stichel in sein Kunstwerk hinein; denn aus dem-
selben dringt immer wieder der doppelte Gedanke heraus:
Meidet die Sünde, übet die Tugend! Dieses große Doppel-

thema von der Flucht des Bösen und vom Vollzug des Guten
wird nun durch die an den Stuhlwangen befindlichen Bas-
reliefs mit ihren Scenen und Sujets aus den mannigfaltigen
Situationen des Menschenlebens in dutzendfachen Formen
variiert und an die Adresse der in den allerverschiedenartigsten
Lebensverhältnissen befindlichen Menschen gerichtet. Der Künst-
ler weiß dem Hauptinhalt dieses Werkes durch allerlei treffliche
Illustrationen eine weitere Auslegung zu geben und im einzel-
nen zu individualisieren und konkret zu gestalten. Die Ent-
wicklung des Themas der stummen und doch so beredten
Moralpredigt des Künstlers möchte sich wohl am passendsten
etwa in die Worte kleiden lassen: O Christ, in den Tagen
der Kindheit und in den Jahren männlicher Vollkraft, beim
Schwinden des nächtlichen Dunkels, beim Aufsteigen der
Morgenröte oder wenn die Sonne sinkt, der Mond zu scheinen
und die Sterne zu funkeln beginnen; bei der Wende und dem
Wechsel der Jahreszeiten bewahre stetösort die Lehre im Herzen:
Meide das Böse, übe das Gute! In Lust und Leid, beim
Beten und beim Arbeiten, bei heiterem Spiele und bei wohl-
verdienter Erholung, aber auch bei angestrengten Berufs-
geschäften und bei Mühen aller Art begleite dich die War-
nung vor der Sünde und die Mahnung zur Tugend! Wenn
deine Finger die Saiten der Harfe rühren oder wenn du sonst
dich an den Tönen der Musik erlabest oder dich gar im
Reigen schwingst, weiche nicht aus deiner Seele der Doppel-
gedanke von dem Hebel des Lasters und von dem Hochwert
der Gottesfurcht! Mag dein Beruf dir das Schlachtenschwert
des Kriegsmannes in die Hand drücken oder dich als Mund-
schenken den Becher mit köstlichem Traubensaft kredenzen
lassen, mag dir deine Lebensstellung manche zentnerschwere
Last und Mühe auf die Schultern legen oder im Priester-
stande dir die Hände zum Beten und Segnen falten, so beherzige
immer meinen wohlgemeinten Zuspruch. Er heißt: Weise von
dir alle Bosheit und ringe eifrig nach Gerechtigkeit! Wenn
du dich endlich im Frühlinge der lieblichen Kinder des Lenzes
freuest oder im Sommer die goldenen Aehren zu Garben
bindest, wenn du in herbstlichen Tagen den Weinstock seiner
süßen Last entledigest oder dich zur Winterszeit gegen die
Unbilden der Kälte schützest, so bleibe dir immer und überall
ein mahnender Warner das Gottesgebot: Fliehe die Sünde,
suche die Tugend! In solcher Weise hat der Meister das
Chorgestühl in eine kunstreiche Lehrkanzel umgewandelt, von
 
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