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Beck, Paul [Hrsg.]; Hofele, Engelbert [Hrsg.]; Diözese Rottenburg [Hrsg.]
Diözesan-Archiv von Schwaben: Organ für Geschichte, Altertumskunde, Kunst und Kultur der Diözese Rottenburg und der angrenzenden Gebiete — 13.1895

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Beck, Paul A.: Der Klosterneubau in Schussenried: ein Beitrag zu Schussenrieds Baugeschichte
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Beck, Paul A.: Vor hundert Jahren - die Franzosen in Oberschwaben bezw. in St. Christina, [5]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15914#0116

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108

S. 581 und 582) unterzogen werden
mußten.
Vor hundert Mahren — dir Fran-
zosen in Vüerschwaiirn dezw. in
St. Lhristina.
Mitgeteilt nebst Einleitung und Anmerkungen
von Amtsrichter a. D. Beck.
(Schluß statt Fortsetzung.)
Jeder Lärmen, jedes Geräusch, welches die ganze
Nacht hindurch fortwährte, schreckte mich von neuem
ans, zuerst allein und nach Mitternacht zur Seite
meines Milbruders im Belte liegend, konnte ich
nicht eine Minute ruhen, viel minder schlafen.
Erst recht fürchterlich war das schon nach 3 llhr
in der Frühe an allen und jeden Gassenecken
ertönende Blasen aus den sehr kurzen Fcld-
trompcten der Patrioten, welches auch zu ge-
wissen Stunden des Tages wiederholt ward.
Wo ich immer am Tage selbst aus den Zimmer-
fenstern einen oder mehrere, mit oder ohne
Roßschwcifmützen bedeckt, Vorbeigehen sah (und
es geschah an einem fort), glaubte und meinte
ich wiiklich, einen meiner fürchterlichen Peiniger
erbliclt nnd an diese»! oder jenem Merkmale
erkannt zu haben. Nur der mir von meinem
Mesner so nachbarlich zugeführte Husar wollte
sich nie sehen lassen. Keinen Schritt getränte
ich mir außer den Pfarrhvf zu machen, und
wenn ich nur eine Minute allein war, sah ich
sogleich die vielen mir so äußerst sichtbar ge-
wordenen Schreckensmäuner wieder in Lebens-
größe vor mir. Es kam der zweite Oktober
1796, der bekannte Roienkranzsonntag, an dem
nirgends ein öffentlicher Gottesdienst gehalten und
nur hie und da in der Stille ohne alles Glocken-
zeichen Blesse gelesen worden war. Nach 8 llhr
wohnte auch ich der vom Herrn OrtSpfarrer
ans dem BruderschastSaltare gelesenen heiligen
Blesse bei; zu zwei bis dreimale», wo nämlich
in der Nachbarschaft ein sehr lautes Getöse ent-
stand, glaubte ich bereits schon die ganze Pfarr-
kirche von plündern wollenden Patrioten um-
zingelt zu sehen. Elend lind wahrhaftig nicht
kanonisch war mein Breviergcbet während dieses
Tumultes. — Etwa um 11 Uhr vonnittags
erschien ganz unverhofft tit. Herr Stadtammann
von Ortliebch im Pfarrhof und überbrnchte
die von; löblichen Magistrale abgefaßte Ordre,
Herr Pfarrer möchte sich gefallen lassen, auf
unbestimmte Tage einen französischen Offizier
samt Bedienten nnd zwei Pferden in seinem
Hanse zu verpflegen re.; Weigerung oder Ein-
wendung von was immer einer Art halten da
keinen Raum. — Wirklich kommt der Offizier
nach 12 Uhr, ein sauberer, großer, artiger
Mann, dagegen sein Bedienter, ein 17 oder 18
jähriger Bube nnd Lümmel erster Klasse. Wir
speisten mitsammen über Mittag und bedauerten
vorzüglich, daß weder deutsch noch lateinisch ge-
sprochen werden konnte. So einnehmend höflich
der Offizier, so bundgrvb geberdete sich dessen
Schildknappe. Jener saß mit bloßem Haupte
obenan, transchierte und legte die Speisen vor;
dieser fraß wie ein Ruche, daß er schwitzte, drückte
sich seinen ellenlangen Hut aufs linke Ohr, .
schrcnkte seine Füße über einander und etliche i

Male war eS an dein, daß er auch seine
schmutzigen, in PautalvnShosen eingeivicketle
Haxen auf den Speisen selbst aufgeschleude, t
hätte. Beiucr und Knochen warf er rechts nnd
links ans de» Boden re. Kaum hatten wir
vollends abgespcist, als Lärmen gemacht und
auch durch dis französischen Trompeter ver-
mittelst gewisser Stöße angekundigt ward, daß
ei» Angriff von seilen der Kaiserlichen in der
Nähe vor feie. Unser Offizier fragte zum Fenster
hinab, mit welchem Corps man eS nufzunehmen
hätte? Auf die Antwort, man hätte es dem
Anscheine »ach mit Kaiserlichen und auch mit
Kvndeern zu wagen, erblaßte er au der Stelle,
geriet auch in sichtliche Verwirrung. Unter
wiederholtem Ausrufe: Obs mal ä propos!
cagat! oaput! schwuugen sich beide nufere Pa-
trioten ans ihre zwei Pferde, einen Schimmel
und Fuchsen nnd litten im vollen Trabe die
Gasse hinauf. Gegen 3 Uhr und noch lauge
nachher Hörle mau eine gewaltige Kanonade;
und wir waren lange in völliger Ungewißheit,
ivo nnd mit was für einem Erfolge gefachten
wurde? Die Gerüchte, über denPBorgang waren
ungleich und immer abwechselnd. Gegen den
Abend verbreiteten sich schnell zwei gedoppelte
schlimme Nachrichten, die erste, daß die Kaiser-
lichen unweit Torkenwcilcr, Tetluang zu sich zu
retirieren gezwungen worden, die zweite, daß
gestern oder vorgestern zwischen dem Nachtrabe
der Morcausche» Armee und einem Corps
Oesterreicher unter Anführung des k. k. Generals
Grafen Latour in der Nähe bei SchussenriedH
und zwar zu großem Nachteile ausgefallene
Gefechte gehalten worden und viele Kaiserliche
in Kriegsgefangenschaft geraten seien. In der
gänzlichen Ungewißheit, ob oder wenn die bei
nnS ciuquarlierlen Ritter wieder retourniere»
würde», warteten Herr Pfarrer und ich bis
lange nach 8 Uhr, wo endlich Herr nnd Diener
bei dunkler Nacht wieder ankamen. Der Offizier
gab sich, nach abgelegtem Säbel, alle Muhe,
uns die Erfolge des gehabten Gefechtes zu er-
klären, konnte sich aber nur mit den wenigen
Worten auSdrücken: „Kaiserlike sik wieder reti-
riert .... retiriert." Das Nachtessen ward jetzt
aufgetrage» nnd verzehrt. Gleich nach 9 Uhr
besuchte uns der ehevor geflissentlich dazu er-
betene Herr Stadtammanu von Ortlieb, be-
komplimeuticrte und unterhielt in französischer
Sprache den Herr» Offizier, entdeckte am Ende
des Diskurses selbem zugleich mein vorgestern
durch die Patrioten zu St. Christin» erlittenes
hartes Schicksal und die an meinem Hause, ja
selbst in meiner Pfarrkirche ausgenbte totale
Ausplünderung. Auf gütiges Anraten des hier-
über betroffenen Offiziers und unter beiwirken-
der Vermittlung des nun auch äußerst besorgten
Herrn StadtammannS ward nun verabredet,
daß gleich morgen den 3. Oktober die sechs noch
zu St. Christina stehenden Melkkühe, einige
Säcke Beesen, Pfarr- und Hausbücher nach
Ravensburg abgeholt wurden. Das Vieh ward
in den Stall des Weisseuauer HauseS gestellt
nnd übriges kam nach und nach mit noch anderen
geringen Gerätschaften der erbrochenen Sakristei
in den Pfarrhof. Auch wurden einige kleine,
von der zerrissenen Monstranz abgebrochene und
in den Reben aufgeklaubte Zierratheu anhcro ge-
bracht. Unter den znsammengerafften Schriften
 
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