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Beck, Paul [Hrsg.]; Hofele, Engelbert [Hrsg.]; Diözese Rottenburg [Hrsg.]
Diözesan-Archiv von Schwaben: Organ für Geschichte, Altertumskunde, Kunst und Kultur der Diözese Rottenburg und der angrenzenden Gebiete — 21.1903

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Beck, Paul A.: Zeit- und Sittenverwechslungen (Anachronismen) in der darstellenden Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.18333#0049

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41

mangelung bestimmter geschichtlicher Nach-
weise dahingestellt bleiben mag. Von
Lukas Cranach ist ferner aus einem
Werke, „Die ganze Passion unseres Herrn
und der Martyrerlod der heiligen Apostel rc."
noch ein weiterer Holzschnitt bekannt, auf
welckem ein Apostel mit einer der Guillo-
tine ähnlichen Maschine geköpft wird. —
Ein ähnliches Werkzeug findet sich außer-
dem auf einem Holzschnitte in Kasp.
Goldwurms 1564, 1570 und 1597 zu
Frankfurt a. M. gedruckten Kiichenkalender.
In einem von dem italienischen Bischof
Petrus de Nadali (auch bloß Natalis ge-
nannt) herausgegebenen und vielfach, na-
mentlich zu Lyon 1514 und 1519 aufge-
legten Leben der Heiligen (».... epis-
coprm Lcfuilinus, 6e Venetim, OLtalo§ris
sanctorum et Zestorurir eorum ex cliversis
volrimiuibris collectus«) sieht man in
beiden letztgenannten Ausgaben, S. 16 a,
85b, 86b und 89b, die Märtyrer Ma-
rinus, Pankratius, Bonifatins
und Isidor mit der Köpfmaschine ge-
richtet, wozu es (d. h. zum hl. Bonifatins)
im Texte heißt: »su33lt rit §1a6io caput
esr>3 Lb3cicleretur« — auch ein eklatantes
Beispiel für die schon oben empfohlene
Mahnung zur Vorsicht bei Benützung bild-
licher Darstellungen zu geschichtlichen
Zwecken I Zur Steuer der Wahrheit sei
indes nachgetragen, daß in einer etwas
älteren Venetianer Ausgabe vom Jahre
1506, lol. die Märtyrer ihr Leben durch
das Schwert verlieren! In einem
deutschen, bereits 1510 in Straßburg
im Elsaß erschienenen Leben der Hei-
ligen („der Heiligen Leben, niiw gekuckt",
Fig. 23 und 96) werden der hl. Snu-
tz Neins und der hl. Quintin ns mit
einer ähnlichen Mechanik vom Leben zum
Tode gebracht; vielleicht ist dieses Opus
bloß ein Auszug oder dergleichen ans
Nadali, der damals in der ascetischen
Welt schon ein gewisses klassisches An-
sehen eilangt hatte? Endlich findet sich
in einem 1592 zu Venedig erschienenen
Heiligenverzeichnisse (->.... ^Ilonoo 6i
ViI1eZL3, nuovo 1e§en6ario 6eIIa vita
e latti cli 14. 3. 8. 6ieu3u Orrmdo e
6i tutti oairti .... trackotto cli Lpa§-
irioio in linArur Itmliana per U. Timo-
leo 6s HaZno, lVIonaso Lamal6ole3e.
Venedia. 1592. 4°«) an vier Stellen

eine Abbildung einer solchen Kvpfmaschmc,
ans welcher eine bereits vollendetere Technik
wahrzunehmen ist. —
Immerhin läßt sich, um der Sache auch
eine gute Seite abzngewinnen, ans solchen
Anachronismen, insbesondere in Fällen,
wo der Künstler Bräuche und Sitten der
Vorzeit in der Art und im Kostüme seiner
Zeit darstellt, mancher Beitrag znrKmnt-
nis der letzteren entnehmen. Wenn auch
das Kostüm eines früheren Zeitalters ganz
falsch wiedergegeben und verfehlt wird, so
werden doch Formen (meist) ans der
eigenen Zeit des Künstlers geschildert;
und so kann der fehlende Bildner gewisser-
maßen zum Schilderen seiner Zeit werden.
Selbst wenn er absichtlich Gegenständen
längst verflossener Jahrhunderte die
Formen des seinigen leiht, be-
urkundet er wenigstens die Formen dieses
letzteren. Auch läßt sich zur Entschuldi-
gung dieser Anachronisten in der dar-
stellenden Kunst ansühren, daß sie, hätten
sie sich nur auch des zehnten Teiles der
Hilfsmittel zu erfreuen gehabt, welche Ge-
schichte und mit dieser verwandte Wissen-
schaften in unseren Zeiten dem Maler,
Bildhauer und Kupferstecher n. s. w. dar-
bieten, gewiß manchen Mißgriff dieser Art
in ihren Arbeiten vermieden hätten; er-
gehen sich doch selbst Schriftsteller der
ältesten Zeiten zuweilen in Anachronismen,
so der „Heliand" (von ca. 830), das be-
deutendste geistliche Epos des Mittelalters,
der „Krist", das bekannte „Annolied" aus
dem 12. und die „Weltchronik" des Nud.
v. Ems ans dem 13. Jahrhundert rc.
In dieser Richtung darf aus weit späterer
Zeit folgende etwas wunderliche Titulatur
von Jesus Christus noch angesügt
werden, welche sich in mehreren Kapellen,
Klöstern, Hospitälern rc., in Nvrddeutsch-
land, so namentlich zu Alberndorf bei
Glatz, in Halberstadt rc. auf Tafeln ver-
zeichnet und angeschrieben befindet:
„Der nllerheiligste, weiseste, allerdurchlauch-
tigste, unüberwindlichste Fürst und .Herr, Herr
Jesus Christus, wahrer Gott, gekrönter Kaiser
der hinnnlischen Heerscharen, erwählter König zu
Zion und des ganzen Erdbodens, zu allen Zeiten
Mehrer der Heiligen, einziger Hoherpriester und
Erzbischof, Churfürst der Wahrheit, Erzherzog der
Ehren, Herzog des Lebens, Markgraf zu Jeru-
salem, Burggraf in Galiläa, Fürst des Friedens,
Graf zu Bethlehem, Baron zu Nazareth, oberster
Kricgsheld der hl. katholischen Kirche, Ritter der
 
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