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Beck, Paul [Hrsg.]; Hofele, Engelbert [Hrsg.]; Diözese Rottenburg [Hrsg.]
Diözesan-Archiv von Schwaben: Organ für Geschichte, Altertumskunde, Kunst und Kultur der Diözese Rottenburg und der angrenzenden Gebiete — 25.1907

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Beck, Paul A.: Das Lyzeum bezw. Gymnasium in Rottweil vor 100 Jahren, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.18486#0110

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hochbetagten, aber noch rüstigen Frau und
eiuer Enkelin, welche sie im Haushalte
unterstützte, giug über den Kreis einfacher
Bürgerlichkeit nicht hinaus. Der Kontrast
zwischen dem in der höheren Gesellschaft
sich bewegenden Familienkreise in Kempten,
den ich verlassen, mit der beschränkten,
veralteten und engherzigen häuslichen
Existenz, in welche ich jetzt eintrat, war
freilich sehr groß und uicht ermutigend,
auch fehlte es au manchen Lebensbequem-
lichkeiten besserer Hänser, wie denn auch
der Tisch in einer beständigen Einförmig-
keit derb fchwarzwälderischer Gewohnheit
sich bewegte und Sommer wie Winter
Spätzle, Speck und Sanerkrant zu den
unumgänglichsten Hausgerichteu gezählt
wurden.

Doch die Jugend ist biegsam uud fügt
sich bald in neue Gewohnheiten; nur
vou eiuem Gewinn für nnsere geistige
oder gesellschaftliche Ausbildung, die wir
aus dem Umgang mit dem alten Bürger-
meister, unserem Mentor, und seiner Fa-
milie ziehen sollten, war unter solcheu
Umständen keine Rede. Die Aufmerk-
samkeit der Familie beschränkte sich ledig-
lich darauf, uus vor Exzesseu zu bewahren,
wozu wir glücklicherweise selbst keine Nei-
guug hatten.

Auch die Studieuaustalt in Rottweil
hatte gegenüber der in Kempten noch
ein auffallend veraltetes Anöseheu. Sie
teilte sich iu ein Gymnasium, iu welchem
noch die alten, der vormaligen jesuitischen
Anstalt entlehnten Klasseneinteilungen und
Beziehungen, Rudiment, Syntax, Rhetorik
und Poetik beibehalten worden waren, und
ein Lyzeum, wo die philosophischen Fächer
doziert wnrden. Eine theologische Fakultät,
welche früher deu Schluß der ganzen An-
stalt bildete, war um die Zeit uuseres
Eintritts nach Ellwangen verlegt worden,
und mit ihr schied zu allgemeinem Be-
daueru Professor Drey von Rottweil, der
als Lehrer der Mathematik und Physik
bei seiner seltenen Gabe, durch Klarheit
uud anziehende Darstellung seine Zuhörer
sür mathematische Studieu empfänglich zu
machen, ungemein erfolgreich gelehrt hatte,
um in Ellwangen den Lehrstuhl der Dog-
matik einzunehmen, in welchem Fache er
bis au sein Ende so rühmlich gewirkt hat.
Die Anstalt hatte zwei Vorstände, einen

Rektor, welcher früher Professor der Theo-
logie gewesen und nunmehr einige philo-
sophische Lehrfächer übernehmen sollte, für
die Leitung des Ganzen, uud eiuen Prä-
sekten, welcher hauptfächlich die polizeiliche
Aussicht über die Studiereuden zu führen
hatte und zugleich Klassenlehrer für
Rhetorik und Poetik war. Nach meinen
Vorstndien und erst im 15. Jahre stehend,
war die Aufnahme in die eben gedachte
Klasse die für mich geeignete uud unter-
lag nach Einsicht meiner Zeugnisse keiuem
Anstand.

Bei meinem ersten Gange in das so-
genannte Kollegium, das frühere stattliche
Jesuitenkloster, um meinem künftigen
Lehrer, dem Präfekten Basilius Beck/)
meiue Aufwartung zu machen, fiel mir
gegenüber von der Anstalt zu Kempten
sehr ans, daß die Professoren sämtlich in
klösterlicher Gemeinschaft in einem Ge-
bände beisammen wohnten, und als ich
vollends in das Zimmer des Präfekten
geführt wurde, fand ich einen Mann in
Mönckskleidnng mit dem obligaten schwarzen
Samtkäppchen ans dem Haupte. Die An-
rede „Er", welche in Kempten niemals
gehört wurde, war mir nicht weniger be-
fremdend, und der satyrische, spöttelnde
Ton, mit welchem die hagere, schlank-
gebaute Mönchsgestalt mit ihren scharf-
geschnitteneu Zügen und durchdringenden
dunkeln Augen mich empfing, kam mir
sehr unheimlich vor. Doch nach mancherlei
Fragen über Abkunft und Familie und
die bisherige Bildnngslaufbahu verbreitete
sich über das eruste Gesicht eiu wohl-
wollender Zng; der kalte, zum Spott ge-
neigte Mann wurde allmählich vertraulich
uud entließ mich mit väterlichen Ermah-
nungen, die Anstalt wohl zu benützen und
ihr Ehre zu machen. Anch hatte sich das
Prädikat „Er" im Laufe des Gesprächs
in die höflichere Form „Sie" umgewan-
delt, welche auch in Znknnst beibehalten
wurde, so oft ich mit dem Präfekten allein
sprach. Im allgemeinen war diese Form
der Anrede mit dem weiteren Prädikat
„Herr" erst den philosophischen Klassen
vorbehalten.

Joh. Baptist Beck, geboren auf der
Reichenau 1776, zum Priester geweiht 1801,
Benediktiner (?. Basilius) in Zwiefalten, ge-
storben 1823 als Gymnasialrektor zu Rottweil.
 
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