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Beck, Paul [Hrsg.]; Hofele, Engelbert [Hrsg.]; Diözese Rottenburg [Hrsg.]
Diözesan-Archiv von Schwaben: Organ für Geschichte, Altertumskunde, Kunst und Kultur der Diözese Rottenburg und der angrenzenden Gebiete — 25.1907

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Beck, Paul A.: Das Lyzeum bezw. Gymnasium in Rottweil vor 100 Jahren, [1]
DOI Artikel:
Schön, Theodor von: Schwäbische Biographien: Herzogin Maria Augusta von Württemberg, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.18486#0116

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— 104 —

Den Österreichern folgten die einem
mihemmbaren Strome gleichen Scharen
der Russen, die wie eine Völkerwanderung
sich darstellten. Baschkiren mit Pfeil und
Bogen, mitunter ans Kameleu reitend,
mahnten au die fabelhaften Wanderzüge
Attilas. Die Avantgarde bildete das Korps
des Fürsten Wittgenstein, dauu folgte
Barclay de Tolly, eiu hochgewachsener,
schöner Mann, den wir lange beobachten
kouuteu, als er au der Kreuzuug der beiden
Hauptstraßen inmitten seines mit Ordeus-
zeicheu reich dekorierten Stabes die vorüber-
zieheudeu Truppeu musterte. Eiuige Tage
später erschieu Platow mit seium regulären
und irregulären Kosakenkorps. Statt Mi-
litärmnsik hörte man den höchst eigeutüm-
licheu, fast melaucholischeu Gesang, und
die unzähligen Lanzen mit ihreu roteu,
auf Blut deutenden Fähnchen starrten auf
unheimliche Weise gen Himmel.

Später sahen wir am Fenster seines
Quartiers die stattliche Gestalt PlatowS,
des berühmten Hetmans. Ein mächtiger
brauuer Vollbart umrahmte das frische
Gesicht m>t wohlgebildeten Zügen und leb-
haften Augen, uud das weite Gewand gab
ihm eiu orientalisches Aussehen, auf
welches auch feiu Hausstand, eine Anzahl
schöner junger Damen, hinzndeuteu schieu,
die sich au deu Feusteru selr bemerklich
machten. Man glaubte, einen Pascha
mit einem Teile seines Harems vor sich
zu seheu.

Unser Haus war wieder mit Quartier
reichlich bedacht. Zunächst hatten wir die
Ehre, eincu russischen Obersten zu be-
wirieu, einen sehr gebildeten Mann, der
das reinste Deutsch sehr geläufig sprach.
Er erzählte uus, wie er eiue seit Jahreu
gesammelte reiche Bibliothek mit vielen
Seltenheiten durch den Brand von Moskau
verloreu, und da er in uus Studeuteu
erkannte, fragte er nach Büchern, um die
Abeudstuudeu durch Leseu zu verkürzen.
Ich besaß Schillers sämtliche Werke und
eine Übersetzung vou Tassos Jerusalem,
die er sich uuter meiueu Büchern aus-
wählte uud auf seiu Zimmer bringen
ließ. Sein Diener müßte bis Mitternacht
von Zeit zu Zeit Tee bereiten, und es
schieu, daß er deu ganzeu Abeud bis tief
in die Nacht hiueiu fich den Büchern
widmete. Ich empfing sie am Morgen

wieder mit warmem Dauke, und als er
nach einigen Stunden an der Spitze seines
Regimeuts die Stadt verließ, wurde mir
nochmals ein freundlicher Gruß, eiue be-
neidenswerte Auszeichuung für eiueu jungen
Studenten.

Jüngere Offiziere, gleichfalls gebildete
Männer, mit welchen wir gerne die Abende
verbrachten, fuchteu ihre Keuutuis der
deutschen Sprache zu erweitern. Sie bateu
uus, alle möglichen Gegenstände zu be-
zeichnen uud notierten sich die Worte nach
dem Laute in russischer Schrift. Dieser
Spracheuaustausch, bei welchem wir auch
eiuige russische Ausdrücke erhaschen konnten,
gab zu mancher heiteren Unterhaltuug
Aulaß, nnd wir saßen manchmal bis tief
in die Nacht gemütlich bei unseren neueu
Freuuden.

Den großeu Unterschied zwischen deu
gebildeten Offizieren der Liuie uud jenen
aus deu Kosakeuregiimuteru konnten wir
an einem merkwürdigen Exemplare letzterer
Art erkennen, das für einige Tage Quartier
bei uns bezog und uns zuletzt sehr lästig
wurde.

Obgleich Offizier bei eiuem regulären
Kofakeuregiment, hatte er eiu wildes, rohes
uud unheimliches Ausfeheu, und die
Schnapsflasche, der wir, um ihn bei guter
Laune zu erhalten, auch manchmal zu-
sprechen mußten, war seiu höchstes Ver-
guügeu. Dabei hielt er streng an seineu
religiösen Gebräuchen uud Vorschriften,
befestigte sogleich einen Reisealtar an der
Wand, vor dem er öfter Gebete verrichtete,
uud geuoß, da eine Fastenzeit eingetreten
war, nur Brot uud in Oel gebackene
Kucheu, die seiu Diener bereiten mußte.
Dagegen wurde die SchuapSslasche mehr-
mals im Tage geleert uud das Getränk
reichlich mit Pfeffer gemischt.

(Schluß folgt.)

H ch w g üischr Biographien.

4'd. Lcdoen. 44. Herzogin Maria
Augusta von Württemberg.

(Fortsetzung.)

Dieser Stoßseufzer kam der Herzogin
gewiß vou Herzeu. Sie hatte inzwischen
kenueu gelernt, wie viele Falschheit sie
umgab, wie weuig wahre, aufrichtige
Freuude sie iu dem Heimatlaude ihres
 
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