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Beilage zum Diözesan-Archiv von Schwaben — 1893

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https://doi.org/10.11588/diglit.17220#0033
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Keilagk nun Wchesan-Urchiv

Nr. (8. von Schwaben. (893.

Das Schuflrnriedrr Chorgestühl und desten
Meister

Eine kunstgeschichtliche Monographie von Bernhard Rueß, Kaplan.

(Fortsetzung.)

Gegen dieses höllische Reptil mm, welches drohend
die Zunge reckt, wehrt sich das Weib kräftig mit der
linken Hand. Im schweren Ringen ist es zu Boden ge-
sunken. Dieser Krieg einer Frauensperson gegen den
schlangengcstaltigen Satan ist offenbar eine Darstellung des
Bekehrungskampfes einer bisherigen Unzuchtssünderin,
welche der Knechtschaft des Bösen satt und müde geworden
ist. Die an sich schon bewegte Scene gewinnt noch mehr
Leben dadurch, daß von oben her der Erzengel Michael hilf-
reich einsteht und den Sieg der Büßerin über den Fürsten
der Finsternis ermöglicht. Der im Schmricke der Waffen-
rüstnng erscheinende Engel tritt nämlich mit dem Fuße gegen
den Kopf der Schlange, und als himmlischer Bundesgenosse
der bedrängten Seele holt er mit dem Schwerte zum eut-
scheidenden Siegesstreiche ans. So erwächst die Bekehrung
einer bisherigen Sklavin der sinnlichen Liebe aus deren er-
folgreichem, von einem Boten GotteS unterstütztem Ringen gegen
die Tyrannei Luzifers.

Außer den in mannigfacher Gestalt auftretenden bösen
Geistern und außer den Sündern als den Opfer» diabolischer
List oder eigener schlimmer Lust hat unser Bildschnitzer an
den Fuß der Chorstühle auch noch das nicht durch Schuld,
sondern Von Natur aus tiefstehende Doppelreich der Fauna
lind der Flora geheftet. Was nun die Tierwelt anlangt, so
finden sich Gestalten vor, durch welche zugleich auch noch das
Böse symbolisiert werden soll. Wir treffen aber gleichfalls
Tierfiguren, welche diesem spezifisch sinnbildlichen Zwecke nicht
dienen, vielmehr einfach Darstellungen des Tierischen schlechthin
sein wollen.

Ein Hund ist mit einem Halsbande geschmückt und strebt
aufwärts (Hb2), während ein anderer, nämlich ein groß-
ohriger Hühnerhund, sich zur Erde niederbeugt (II b 3) und
die Zunge herausstreckt. Es ist nicht festzustellen, ob letzterer
Wasser leckt oder den eigenen Anöwnrf verschlingt, so daß man
an die Stelle des zweiten petrinischen Briefes (2, 22) denken
müßte, in welcher der Apostel den Hunden den Vorwurf der
Ekelhaftigkeit macht. So viel aber ist sicher, daß unser
Meister die Hunde als im Oriente überaus verrufene Tiere
und als Sinnbilder der Schamlosigkeit an das Gestühl
gebannt hat. Schon im Munde des griechischen Dichters
Homer und in der Anschauung der Verfasser der hl. Schrift
galten bte- Hunde für verächtliche Vertreter der Bosheit und
des bellenden Widerspruchsgeistes (Krenser, S. 182). Wie
ein liebliches Idyll sitzt sodann an einem Stuhlfuß possierlich
ein Affe, hält mit einer Vorderhand ein muschelförmiges
Schüsselchen, bläst in ein ans Maul gehaltenes Rohr und
bildet Seifenblasen (I b 4). Obwohl nun dieser Affe schein-
bar ganz harmlos spielt, so ist er in seinem kindischen Zeit-
vertreib dennoch vom Künstler als ein Bild der Faulheit
und wohl auch wie die oben geschilderten Hunde als ein zu
verabscheuendes Symbol der Unkeuschheit gedacht. Denn

in einem Briefe an den Abt Wilhelm bezeichnet der hl. Bern-
hard die Affen ausdrücklich als unreine Tiere (siehe Mabillon.
Opp. S. Bernardi. Paris, pag. 539). Wenn am Gestühle
unter dem Bilde des Winters ein Bär (lall) den Beter
anblickt, so galt unserem Bildhauer dieser Sohn der kalten
Region sicher als ein abschreckendes Sinnbild der Un Mäßig-
keit. Es schreibt ja schon St. Chrysvstomns dem Bären die
schlimme Neigung der Gefräßigkeit zu (siehe Krenser, S. 187).
Als Repräsentant der Diebesznnft in der Tierwelt erscheint
(I a 3) ein kurzohriges Wiesel (siehe Krenser, S. 179). Aber
auch die Vogclwelt stellt ein paar Wesen, welche es mit der
Unterscheidung von mein und dein nicht genau nehmen: Ein
Star pickt nämlich (I a 10) von einer Traube und ein
zweiter Vogel (Sperber?) frißt (Id 3) Beeren. Einen Adler,
welcher im siegreichen Kampfe mit einer Natter liegt und sich
anschickt, dieselbe zu verzehren, müssen wir wohl als ein Bild
der Raubgier ansehen (siehe Krenser, S. 178). — Außer
solchen Vertretern des Schlimmen finden sich sodann Tier-
figuren vor, welchen ein Hinweis auf das Böse mangelt.
Letztere Gestalten wollen mehr das Tierische als solches zum
Ansdrucke bringen: Ein zierliches, auf einem Aste sitzendes
Eichhorn knackt eine Nuß (II a 1), ein Pfau entfaltet die Augen
seines Schwanzgcfiedcrs (II b 7), ein Storch hält im Schnabel
einen Frosch und steht im Begriff, denselben zu verschlingen
(Ha 7), eine Gans wendet ihren langen Hals und Schnabel
erdwärts (Ilb 5). Eine mit dem linken Fuße ein Ei haltende
Rohrdrommel (?) fl a 4) und ein Wiedehopf mit seiner Feder-
Haube auf dem Kopfe (Ial), auch eine Taube (I a 8) und
ein Papagei (I b 4), ja sogar ein kräftiger Fisch (Ib2): alle
tragen sie dazu bei, eine reiche Abwechslung in die aus der
Tierwelt beigezogenen Bildstücke hineinznbringen.

Endlich hat unser Meister an den untersten Teilen der
Stiftsstnhle noch den Repräsentanten der Pflanzenwelt einen
Platz eingeräumt. Den Uebergang von der Fauna zur Flora
vermitteln lind bilden wilde Bestienköpfe, welche in Pslanzen-
gebilde auslaufen (IIal2). Sodann wechselt ein Riesen-
exemplar der Gansblume (I a 12) ab mit einer blühenden,
aber auch in Knospenform vorhandenen Sonnenblume (I a 10).
Andere Kinder der Flora (Rosen?) und verschiedenartige
(Obstbaum-)Früchte sind in zahlreiche Füllhörner (I a 6 11. 9)
gebettet. Ein Weinstock treibt Rebenlaub und Traubenbeeren
(Ia2); stilisierte Tulpen (I a 5) und Lilien (I b 5) öffnen
Kelch und Krone. Samenkapseln, blütenloses Blattwerk,
Blumenkelche (I a 9), mit kleinen Kronen behangene Pflanzen-
stengel, Blattbündel (II a 6), Lauboruamente aller Art, öfters
wiederkehrende Motive von Akanthusblattgebildcn lassen auch
beim Schmucke ans dem Garten der Botanik die wünschens-
werte Mannigfaltigkeit nicht vermissen.

Erheben wir uns nun nach diesem Blick auf die Ver-
zierung der untersten Teile unseres Kunstwerkes zur Be-
trachtung der Ausschmückung der mittleren Partien der
Stühle! Auf dieser Höhe des Gestühles, also an den
Stuhlwangen, hat unser Bildhauer lauter menschliche Ge-
bilde angebracht, er versetzt uns mit diesen Produkten seiner
Künstlerhand in daö volle Menschenleben hinein und zwar
mehr in das profanweltliche (natürliche), als in das sittlich-
 
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