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Beilage zum Diözesan-Archiv von Schwaben — 1893

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https://doi.org/10.11588/diglit.17220#0037
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Nr. 20.

eilagt nun Möpsan-Archiv

von Schwaben.

M5-

Das Schussrnriedrr Chorgestühl urrd dessen
Meister.

Eine kunstgeschichtliche Monographie von Bernhard Rueß, Kaplan.

(Fvrlsetzung.)

So zeigt das Bildwerk eine ganz lobenswerte, symmetrische
Anordnung. Auch ist in dasselbe eine dramatische Lebhaftigkeit
hineingetragen durch die auf Spruchbändern gebotenen Verfnh-
rungsworte der Schlange, durch die Entschuldigungen unserer
Stammeltern und durch das wider die Schlange ausgesprochene
Strafurteil Gottes, welches aber zugleich auch zu einer Vor-
ansverkündignng der Erlösung geworden ist. Denn der Be-
scheid Jehovas an die Schlange ist zwar ein Strafwort, allein
er verheißt doch auch Maria, das große Weib der Zukunft,
und deren Sprossen, den Erlöser der Welt.

2) Das zweite Bild führt die Geburt Mariä vor.
Die Mutter Anna ruht auf einem Bette. Der dem Beschauer
zugekehrte Teil der Lagerstätte ist mit dem Monogramm AA
(Anna) geziert. Links steht St. Joachim, den Säugling auf
den Armen; voll Dank und Freude blickt er zum Himmel.
Eine Pflegerin hält die Rechte der hl. Anna. Ueber dieser
Geburtsscene Mariä sind noch zwei Miniaturgruppen an-
gebracht: Rechts schallt man die ausgehende Sonne, links
sieht man zwei von einer Schafherde umgebene Männer.
Der eine derselben kniet vor dem anderen, welcher ihn segnet.
Das Gesamtbild wird nach oben abgeschlossen durch eine An-
zahl von Engeln. Einer derselben weist mit der Hand auf
die anfgehelide Sonne (Christus) und deren Begleiterin, die
Morgenröte des Heiles (Maria). Den Abschluß des Ganzen
bildet ein Spruchband mit den auf Maria angewandten
Worten aus dein Buche der Sprüche Salomons (8, 25):
»Ante Omnes Ego Parturiebar«.1) Unser Meister hat sich
erlaubt, statt des Ausdruckes eolles (Hügel), wie er in der
hl. Schrift steht, das Wort omnes (alle) zu wählen. —
Die beiden oben erwähnten Männer, von ivelchen der eine
steht, der andere kniet, halten wir für eine bildliche Wieder-
gabe der bei Moses (I. 32, 24—30) überlieferten Erzäh-
lung vom nächtlichen Ringen des Stammvaters Jakob mit
dem Bundesengel. Vor dem Zusammentreffen mit seinem
Bruder Esau hatte der in sein Heimatland zurückkehrende
Patriarch Jakob einen siegreichen Kampf mit einem Manne
zu bestehen. Aus dem Berichte der hl. Schrift über diesen
geheimnisvollen Vorgang hat unserem Künstler offenbar die
Stelle vvrgeschwebt: „Er (der Mann) sprach zu ihm (Jakob):
Laß mich, denn die Morgenröte steigt herauf! Er (Jakob)
antwortete: Ich entlasse dich nicht, es sei denn, du segnest
mich." Laut Vers 29 wurde der Stammvater in der Thal
von seinem geheimnisvollen Gegner im nächtlichen Ringen
aus die genannte Bitte hin gesegnet. Unser Bildschnitzer wollte
durch Darstellung des erwähnten alttestamentlichen Vorganges
offenbar besagen: Beun Aussteigen der Morgenröte erhielt
Jakob, dieser Stammvater des Jndenvolkes, für sich und sein
Volk den Segen vom Himmel. In ähnlicher Weise hat über
die ganze Menschheit der Segen des Allerhöchsten nieder-

zutauen angefangen, als die „Morgenröte des Heiles" am
Horizonte aufstieg, d. h. als Maria geboren wurde.
Denn sie ist ja in ihrer Eigenschaft als Mutter Jesu die
Künderin und Bringerin der aufgehenden „Sonne der
Gerechtigkeit" geworden. Unter letzterer bildlicher Bezeichnung
ist bekanntlich Christus zu verstehen.

3) Die dritte bildliche Darstellung hat zum Gegenstand
die Opferung Mariä (praesentatio). So nennt man
die legendarisch beglaubigte Uebergabe Mariä in die Schar
der Tempeljungfrauen, welche dem Allerhöchsten unmittelbar
in seinem irdischen Hause dienten. Den Schleier auf dem
Haupte, kniet Maria im Vordergrund der Bildgruppe auf der
obersten Stufe einer Treppe. Der Hohepriester kommt ihr
zum Empfange entgegen, grüßend streckt er die Hände nach
ihr aus; er steht unter einem von zwei blattwerkgeschmückten
gewundenen Säulen getragenen Zelte, dessen innere Rückwand
mit beiden Gesetzestafeln geziert ist. Im Hintergründe des
Hauptbildes befindet sich im Kleinen ein zweites Relief. Es
stellt Maria vor, auf der Reise begriffen und umgeben von
ihren Eltern. Der hl. Joachim zeigt der seligsten Jungfrau
mit einer Handbewegung den Weg zum Tempel und zum
Dienste in demselben; Maria wird von ihrer Mutter St.
Anna geführt und geleitet. So enthält das Hauptbild die
wirkliche Aufnahme Mariä in den Tempeldienst, das Neben-
bild aber ihr Gehen zu diesem ihrem zeitweiligen Berufe.
Ueber dieser Doppelscene schweben, von Wolken umgeben,
zwischen denselben fast versteckte Engelsgestalten.

4) Mariä Verkündigung: Maria kniet auf einem
Betschemel mit Ausblick auf die Stadt Nazareth. Hinter
Maria steht ein Stuhl, vor dem Schemel ruht ein Haushund.
St. Gabriel kommt vom Himmel und schwebt, die Lilie in
der Hand, über einem Wolkengrund. Vor dem Engel ent-
faltet sich eine Strahlenbahn, welche, von Gott Vater aus-
gehend, sich auf Maria herabsenkt, mitten in der Bahn schwebt
die Taubengestalt des hl. Geistes. Das Ganze beleben viele
kleine singende, auf der Laute und Leier spielende Engel.

5) Mariä Vermählung: Die dargestellten Personen
stehen unter einem von gewundenen Säulen getragenen offenen
Zelte. Zwischen den beiden Brautleuten befindet sich der
Hohepriester (eine leider sehr beschädigte Figur!), im Begriffe,
den Ehering an die ausgestreckte Rechte des hl. Joseph zu
streifen und die Hand Mariä in diejenige ihres hl. Bräutigams
zu legen. Ueber dieser Gruppe schwebt der hl. Geist in
Taubengestalt unter einem staketierten Halbbogen, den Ehe-
bund segnend und weihend.

6) M a r i ä H e i m s uch u u g: Die gegenseitige Begrüßung
Mariä und Elisabeths durch Umarmung ist in herkömmlicher
Weise gegeben. Dagegen wurde dieses primäre Bild mit Mi-
niaturscenen belebt, welche übrigens der Einheitlichkeit deö
Reliefs keinen Abbruch thun. Wir erblicken zwei Wanderer;
eine Frau geht mit einem Kinde an der Hand über eine
Brücke; es zeigen sich Städte- und Landschaftsbilder; auch
das Wohnhaus des Zacharias ist sichtbar. Allerdings verrät
dasselbe mit seinen Glasfenstern Anachronismus und mit der
Form seiner Fensterläden mangelnde Kenntnis der Gesetze der
Perspektive.

0 Vor alle» wurde ich geboren.
 
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