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Aufführung der „Phönicierinneu" deö EuripideS durch Schü-
ler des Heidelberger Gymnasiums im Saale der dortigen
Musenmsgesellschaft. Und am 15. August 1894 wurde zu
Oehriugen „Wallensteins-Lager" von Schiller durch 49 Schü-
ler des dortigen Lyceums anfgeführt. Nach einem musikali-
schen Vorspiel folgte ein mit Beifall aufgenommeuer Prolog,
woran sich eine Ouvertüre anreihte. Nachdem der Vorhang
sich gehoben, wurde wieder mit Klavierbegleitung von sämt-
lichen Schülern das weltbekannte Reiterlied aus der Zeit des
30jährigen Krieges (nach der Ueberlieferuug in Musik gesetzt
von I. Mayer vom Stuttgarter Hoftheater) in 5 Abteilungen
frisch gesungen. Die Vorstellung selbst verlief ohne alle
Störung mit großer Pünktlichkeit und Hingebung, mehrfach
mit wahrhaft künstlerischer Begabung, insbesondere des Ka-
puziners, Wachtmeisters und Trompeters. Zum Schluß wurde
gleichfalls mit Klavierbegleitung, als wirksamer Abschluß des
kriegerischen Spiels, das Lied „Wohlauf Kameraden" mit Be-
geisterung gesungen. Kürzlich hat sich auch das preußische Un-
terrichtsministerium mit diesen Schüleranfführungen befaßt
und in einer an die Provinzialschnlkollegien ansgegebenen Ver-
fügung am 18. Juni d. I. untersagt, daß Schüler sich zu
der Schule fremd bleibenden theatralischen Aufführun-
gen vor einem großen Publikum znsammenthun. Abgesehen
von anderen Gefahren, die hiemn verbunden sein können,
drohe schon jede der Leitung durch Lehrer entzogene Einübung
eines Theaterstücks ein Hindernis für den rechtmäßigen Fleiß
der Schüler zu werden. Es werde möglich sein, dem Unfug
dieser Art zu steuern, wenn den Schülern zur Pflicht gemacht
wird, sich vor der Mitwirkung an dramatischen Aufführungen
durch Anfrage bei dem Direktorium, zu welchem man sich
wohl die gewissenhafte und taktvolle Entscheidung einer solchen
Frage in allen Fällen versehen dürfe, Gewißheit darüber
zu verschaffen, ob die Schule ein derartiges Vorhaben beanstan-
den muß oder gestatten kann. Und dieses Register über all diese
Volks- und Schüleranfführungen könnte noch weiter fortgeführt
werden; es wäre aber sehr zu wünschen, daß man von anderer
Seite, welcher hiezu Mittel und Wege zu Gebote stehen,
eine statistische Zusammenstellung dieses G'spiels in Aussicht
nehme; damit würde der theatralischen Forschung und auch
der Kulturgeschichte ein wertvolles Material zugeführt, da
sich die Vorgänge in diesen Sphären meist der Niederschrift
entziehen, bald nach Jahren verschwinden, um dem Samm-
ler und Kultnrforschcr vielleicht auf immer zu entgehen, sie
aber doch, im gehörigen Zusammenhang betrachtet, nicht den
uninteressantesten Teil der Kulturgeschichte ansmachen. — Aber
nicht bloß der Vergangenheit, sondern auch wieder in Süd-
deutschland der Gegenwart und Zukunft soll das „G'spiel"
angehören; und ist im Interesse der Volksbildung und Ver-
edlung sowie zur Pflege des Gemütlebens eine stärkere Zu-
nahme dieser im Absterben begriffenen Volksunterhaltnng sehr
zu wünschen, wodurch zugleich manche Elemente von so vie-
lem unnützen Kannegießern, anderem schädlichen müßigen
Zeitvertreib und noch weit schlimmeren Verirrungen abgezo-
gen, infolgedessen zufriedener lebe» und daneben auch der
übermäßige Wirtshansbesnch etwas eingeschränkt würde. Das
Leben wird ohnedies nachgerade so entsetzlich prosaisch und
„verschrieben", und gewinnt der Materialismus, Pessimismus
und die Bureaukratie dermaßen die Oberhand, daß man das
wenige an Poesie, Volkstümlichem und Idealem, was Bürger
und Bauer noch gerettet hat, wohl pflegen und erhalten und
demselben auch von oben unter die Arme greifen darf. Der
weise Satz der alten Römer: Panem et circenses hatte
seine guten Gründe. Möchte man sich maßgebenden Orts der
Erkenntnis nicht verschließen, daß die eigentliche Bestimmung
der dramatischen Kunst viel weiter geht, als müßigem Zeit-
vertreib zu dienen, und daß ihre unwiderstehliche Gewalt,
welche sie auf die Massen ausübt, für eine ehrliche, ans eine
edle Menschheitsentwickelung zielende Staatsknnst von wesent-
lichem Nutzen ist. Das heutzutage vielbekiebte Surrogat der
lebenden Bilder kann Worte und Aktion ans der Bühne niemals
ganz ersetzen. Vielleicht ließe sich der Volksbühne durch eine
geschickte Verbindung von Spiel und Gesang in der Form von
Singspielen rc. aufhelfen; dieser Idee nähern sich die seit einigen
Jahren so sehr beliebten Weihnachtsoratorien und Weihnachts-
spiele, welche wie z. B. das von Dechant Müller in Kassel
(1883 zu Biberach: 1884 in Wangen vom Kirchenchor mit
Liederkranz, sowie in Schnssenried aufgeführt: „Der Stern
von Bethlehem" u. a. 1884 vom Gesellenverein in Ulm gegeben)
neben dem Gesang auch das dramatische Element etwas zur
Geltung kommen lassen, wenn auch in geringen! Maße. Um
das „G'spiel" wieder etwas in Aufnahme zu bringen, müßten
einflußreichere und sachverständige Kräfte vorangehen und sich
der Sache annehmen; und dazu scheinen, wenn der KlernS
sein persönliches Eintreten dafür mit seinem Berufe nicht mehr
im Einklang finden will, die Volksschnllehrer berufen. Nicht
wenig wird es auf eine geeignete Auswahl der Stücke an-
kommen, neben heiteren und patriotischen Stoffen, welch'
letztere namentlich zur Hebung des Vaterlandsgefühles bei-
tragen dürften, sollten religiöse Vorwürfe nicht ganz beiseite
gelegt werden; nur ist hierbei selbstverständlich Voraussetzung,
daß solche nicht nur in Dichtung, Komposition, sondern auch
in Ausführung mit Würde behandelt und Auftreten, Vortrag
und Aktion von der Hoheit des Inhalts getragen werden.
Wir halten es für zu weit gegangen, religiöse Dramen, Pas-
sions-Weihnachtsspiele und insbesondere alle „öffentliche Dar-
stellungen ans der biblischen Geschichte des alten und neuen
Testamentes, z. B. aus Jesu Christi Lebens- und Leidensge-
schichte, mögen die Darsteller sich als lebende Bilder oder in
scenisch sich bewegender Handlung zeigen", wie ei» älterer
preußischer Ministerialcrlaß thnt, schlechthin zu verbieten. Der-
selbe wurde allerdings mit der Zeit von verschiedenen Behör-
den wenigstens dahin modifiziert, „daß die Person Christi
oder Gott Vaters oder des hl. Geistes oder eines Mitgliedes
der hl. Familie nicht durch lebende Menschen dargestellt werden
und daß auch im übrigen nichts Vorkommen darf, was irgend
geeignet wäre, Anstoß zu erregen, insbesondere, daß die Dar-
stellung der eben bezeichneten Personen durch Abbildungen
nur erfolgen darf, wenn letztere (gemalte Bilder, Statuen
oder dgl.) völlig würdig hergestellt sind".
In allernenester Zeit hat sich das edlere Volksschanspiel
anerkennenswerterweise wieder sehr gehoben, wobei Ro-
thenburg a. T., die Stadt, welche .sich am meisten von
allen deutschen Städten das Bild vergangener Tage bis aus
die Gegenwart herüber erhalten hat, voranging. Die patrio-
tische That beziehungsweise Opferfreudigkeit ihres trinkbaren
Bürgermeisters, der bekanntlich Tillys Zorn dadurch beschwich-
tigte, daß er auf dessen Geheiß den dem Sieger dargebotenen
Humpen voll Tranbenwein trotz seiner schier unergründlichen
Tiefe in einem Zuge leerte, wird als „Meistertrnnk von
Rothenburg" jetzt alljährlich durch ein Festspiel gefeiert, bei
welchem die Stadtkinder beiderlei Geschlechts, in der kleidsa-
men Tracht des 17. Jahrhunderts, vergnüglich mitwirke».
Nach dem Vorbilde der alten ehrenhaften Tauberstadt dachte
man auch anderwärts an Wiederbelebung ähnlicher Episoden
aus der reichen Vergangenheit deutscher Städte, so zu Krai-
bnrg a. I., woselbst im Sommer 1892 zum erstenmal das
Aufführung der „Phönicierinneu" deö EuripideS durch Schü-
ler des Heidelberger Gymnasiums im Saale der dortigen
Musenmsgesellschaft. Und am 15. August 1894 wurde zu
Oehriugen „Wallensteins-Lager" von Schiller durch 49 Schü-
ler des dortigen Lyceums anfgeführt. Nach einem musikali-
schen Vorspiel folgte ein mit Beifall aufgenommeuer Prolog,
woran sich eine Ouvertüre anreihte. Nachdem der Vorhang
sich gehoben, wurde wieder mit Klavierbegleitung von sämt-
lichen Schülern das weltbekannte Reiterlied aus der Zeit des
30jährigen Krieges (nach der Ueberlieferuug in Musik gesetzt
von I. Mayer vom Stuttgarter Hoftheater) in 5 Abteilungen
frisch gesungen. Die Vorstellung selbst verlief ohne alle
Störung mit großer Pünktlichkeit und Hingebung, mehrfach
mit wahrhaft künstlerischer Begabung, insbesondere des Ka-
puziners, Wachtmeisters und Trompeters. Zum Schluß wurde
gleichfalls mit Klavierbegleitung, als wirksamer Abschluß des
kriegerischen Spiels, das Lied „Wohlauf Kameraden" mit Be-
geisterung gesungen. Kürzlich hat sich auch das preußische Un-
terrichtsministerium mit diesen Schüleranfführungen befaßt
und in einer an die Provinzialschnlkollegien ansgegebenen Ver-
fügung am 18. Juni d. I. untersagt, daß Schüler sich zu
der Schule fremd bleibenden theatralischen Aufführun-
gen vor einem großen Publikum znsammenthun. Abgesehen
von anderen Gefahren, die hiemn verbunden sein können,
drohe schon jede der Leitung durch Lehrer entzogene Einübung
eines Theaterstücks ein Hindernis für den rechtmäßigen Fleiß
der Schüler zu werden. Es werde möglich sein, dem Unfug
dieser Art zu steuern, wenn den Schülern zur Pflicht gemacht
wird, sich vor der Mitwirkung an dramatischen Aufführungen
durch Anfrage bei dem Direktorium, zu welchem man sich
wohl die gewissenhafte und taktvolle Entscheidung einer solchen
Frage in allen Fällen versehen dürfe, Gewißheit darüber
zu verschaffen, ob die Schule ein derartiges Vorhaben beanstan-
den muß oder gestatten kann. Und dieses Register über all diese
Volks- und Schüleranfführungen könnte noch weiter fortgeführt
werden; es wäre aber sehr zu wünschen, daß man von anderer
Seite, welcher hiezu Mittel und Wege zu Gebote stehen,
eine statistische Zusammenstellung dieses G'spiels in Aussicht
nehme; damit würde der theatralischen Forschung und auch
der Kulturgeschichte ein wertvolles Material zugeführt, da
sich die Vorgänge in diesen Sphären meist der Niederschrift
entziehen, bald nach Jahren verschwinden, um dem Samm-
ler und Kultnrforschcr vielleicht auf immer zu entgehen, sie
aber doch, im gehörigen Zusammenhang betrachtet, nicht den
uninteressantesten Teil der Kulturgeschichte ansmachen. — Aber
nicht bloß der Vergangenheit, sondern auch wieder in Süd-
deutschland der Gegenwart und Zukunft soll das „G'spiel"
angehören; und ist im Interesse der Volksbildung und Ver-
edlung sowie zur Pflege des Gemütlebens eine stärkere Zu-
nahme dieser im Absterben begriffenen Volksunterhaltnng sehr
zu wünschen, wodurch zugleich manche Elemente von so vie-
lem unnützen Kannegießern, anderem schädlichen müßigen
Zeitvertreib und noch weit schlimmeren Verirrungen abgezo-
gen, infolgedessen zufriedener lebe» und daneben auch der
übermäßige Wirtshansbesnch etwas eingeschränkt würde. Das
Leben wird ohnedies nachgerade so entsetzlich prosaisch und
„verschrieben", und gewinnt der Materialismus, Pessimismus
und die Bureaukratie dermaßen die Oberhand, daß man das
wenige an Poesie, Volkstümlichem und Idealem, was Bürger
und Bauer noch gerettet hat, wohl pflegen und erhalten und
demselben auch von oben unter die Arme greifen darf. Der
weise Satz der alten Römer: Panem et circenses hatte
seine guten Gründe. Möchte man sich maßgebenden Orts der
Erkenntnis nicht verschließen, daß die eigentliche Bestimmung
der dramatischen Kunst viel weiter geht, als müßigem Zeit-
vertreib zu dienen, und daß ihre unwiderstehliche Gewalt,
welche sie auf die Massen ausübt, für eine ehrliche, ans eine
edle Menschheitsentwickelung zielende Staatsknnst von wesent-
lichem Nutzen ist. Das heutzutage vielbekiebte Surrogat der
lebenden Bilder kann Worte und Aktion ans der Bühne niemals
ganz ersetzen. Vielleicht ließe sich der Volksbühne durch eine
geschickte Verbindung von Spiel und Gesang in der Form von
Singspielen rc. aufhelfen; dieser Idee nähern sich die seit einigen
Jahren so sehr beliebten Weihnachtsoratorien und Weihnachts-
spiele, welche wie z. B. das von Dechant Müller in Kassel
(1883 zu Biberach: 1884 in Wangen vom Kirchenchor mit
Liederkranz, sowie in Schnssenried aufgeführt: „Der Stern
von Bethlehem" u. a. 1884 vom Gesellenverein in Ulm gegeben)
neben dem Gesang auch das dramatische Element etwas zur
Geltung kommen lassen, wenn auch in geringen! Maße. Um
das „G'spiel" wieder etwas in Aufnahme zu bringen, müßten
einflußreichere und sachverständige Kräfte vorangehen und sich
der Sache annehmen; und dazu scheinen, wenn der KlernS
sein persönliches Eintreten dafür mit seinem Berufe nicht mehr
im Einklang finden will, die Volksschnllehrer berufen. Nicht
wenig wird es auf eine geeignete Auswahl der Stücke an-
kommen, neben heiteren und patriotischen Stoffen, welch'
letztere namentlich zur Hebung des Vaterlandsgefühles bei-
tragen dürften, sollten religiöse Vorwürfe nicht ganz beiseite
gelegt werden; nur ist hierbei selbstverständlich Voraussetzung,
daß solche nicht nur in Dichtung, Komposition, sondern auch
in Ausführung mit Würde behandelt und Auftreten, Vortrag
und Aktion von der Hoheit des Inhalts getragen werden.
Wir halten es für zu weit gegangen, religiöse Dramen, Pas-
sions-Weihnachtsspiele und insbesondere alle „öffentliche Dar-
stellungen ans der biblischen Geschichte des alten und neuen
Testamentes, z. B. aus Jesu Christi Lebens- und Leidensge-
schichte, mögen die Darsteller sich als lebende Bilder oder in
scenisch sich bewegender Handlung zeigen", wie ei» älterer
preußischer Ministerialcrlaß thnt, schlechthin zu verbieten. Der-
selbe wurde allerdings mit der Zeit von verschiedenen Behör-
den wenigstens dahin modifiziert, „daß die Person Christi
oder Gott Vaters oder des hl. Geistes oder eines Mitgliedes
der hl. Familie nicht durch lebende Menschen dargestellt werden
und daß auch im übrigen nichts Vorkommen darf, was irgend
geeignet wäre, Anstoß zu erregen, insbesondere, daß die Dar-
stellung der eben bezeichneten Personen durch Abbildungen
nur erfolgen darf, wenn letztere (gemalte Bilder, Statuen
oder dgl.) völlig würdig hergestellt sind".
In allernenester Zeit hat sich das edlere Volksschanspiel
anerkennenswerterweise wieder sehr gehoben, wobei Ro-
thenburg a. T., die Stadt, welche .sich am meisten von
allen deutschen Städten das Bild vergangener Tage bis aus
die Gegenwart herüber erhalten hat, voranging. Die patrio-
tische That beziehungsweise Opferfreudigkeit ihres trinkbaren
Bürgermeisters, der bekanntlich Tillys Zorn dadurch beschwich-
tigte, daß er auf dessen Geheiß den dem Sieger dargebotenen
Humpen voll Tranbenwein trotz seiner schier unergründlichen
Tiefe in einem Zuge leerte, wird als „Meistertrnnk von
Rothenburg" jetzt alljährlich durch ein Festspiel gefeiert, bei
welchem die Stadtkinder beiderlei Geschlechts, in der kleidsa-
men Tracht des 17. Jahrhunderts, vergnüglich mitwirke».
Nach dem Vorbilde der alten ehrenhaften Tauberstadt dachte
man auch anderwärts an Wiederbelebung ähnlicher Episoden
aus der reichen Vergangenheit deutscher Städte, so zu Krai-
bnrg a. I., woselbst im Sommer 1892 zum erstenmal das