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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 10.1865

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https://doi.org/10.11588/diglit.13555#0188

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Kunst-Literatur und Album.

Kritische Forschungen im Gebiete der Malerei alter und
"buer Kunjt. Ein Beitrag zur gründlichen Kenntniß
der Meister von M. Unger. (Supplement zu seinem
Werke: „Das Wesen der Malerei"). — Leipzig.
Verlag von Herm. Schnitze. 1865. (Fortsetzung).

4.

SBir haben in den voraufgehenden drei Artikeln nächst der
allgemeinen Charakteristik des Unger'schen Buches aus die for-
malen Mängel desselben hingewiesen, welche das Verständniß
desselben überhaupt erschweren, theilweise sogar ganz verhindern.
Man kann daraus erkennen, wie innig bei jeder dem Reich des
Gedankms angehörigen Production und überhaupt bei jeder Pro-
duction das formale Element mit dem substanziellen verbun-
den ist. Hatte Unger sich ein bestimmtes System philosophischer
Kategorien für seine „Wissenschaft der Malerei" gebildet und
dies System in einer kurzen Einleitung organisch entwickelt, so
würde er dadurch für sich wie für den Leser eine feste Handhabe
für das klare Verständniß des ideellen Inhalts seiner kritischen
Resultate gewonnen haben, die nun in ihrer nebelhaften Ver-
schwommenheit nur eine Ahnung von der tiefen Bedeutung und
der großen Tragweite ihres substanziellen Gehalts gewähren.

Wenn dieser Vorwurf zum Theil schon durch die voraufgehende
Kritik seiner Ausdrucksweise in Bezug auf einzelne Begriffe
begründet ist, so lassen sich dafür fast noch entschiedenere Belege
m seiner Art der Gedanken-Entwicklung aufsinden. In
der That läßt die Dunkelheit seiner Satzkonstructionen und
Definitionen die Unbestimmtheit seiner Ausdrücke noch hinter
sich zurück.

Bei der Betrachtung derselben nehmen wir aso nunmehr
einen wesentlich substanziellen Standpunkt ein und werden
daher nicht blos die Mangelhaftigkeit seiner Satzkonstructionen
in grammatischer Rücksicht, sondern auch das damit in Zusammen-
hang stehende Dunkle und Jrrthümliche seiner Anschauungen,
wie es sich in seinen Definitionen und Charakteristiken auspragt,
in's Auge zu fassen haben. Wenn irgendwo, so vermissen wir
hier jene „Durchsichtigkeit" d. h. lautere Klarheit des Gedankens,
welche der Verf. (auf S. VII der Vorrede) als Eigenschaft seines
Buches präteudirt. Von dem Schwulst, in den der Verf. un-
willkürlich säst immer verfällt, sobald er in eine tiefere ästhetische
Betrachtung eintritt, wollen wir nur ein Beispiel ausllhren, um
über diesen Punkt hinwegzukommen. S. 174 drückt er sich mit
Beziehung aus ein Bild Guido Reni's, darstellend „die beiden
Einsiedler Paulus und Antonius in der Wüste" (Berl. Museum
Nr. 273) in folgender außerordentlichen Weise aus: „Der Stil
Guido Rem's, der an Großartigkeit in der in Rede stehenden
Kunstperiode von keinem italienischen Meister im Ganzen über-
trofien wird, ist dem Lebenssinn nach, mit dem er die
Kategorien der Natur-Eigenschasten zusammenfaßt,
von weitumfassender Bedeutung, wenn der Gegenstand seiner
Vorwürfe es gestattet, die Auffassung und Behandlung derselben
mit voller malerischer Kraft in's Leben treten zu lassen oder,
mit andern Worten, wenn er die Er sch einung im weitesten
Umfange der ursächlichen Bedingungen ihrer Ideen
nach bloslegen kann". Weiter unten (S. 17b) motivirt er
diese naturalistische Behandlung der Figuren — denn hierauf
kommt es hinaus, was Unger sagen will — folgendermaaßen:
„Guido ist bei der Ausführung dieses Bildes bedeutend weiter (?)
gegangen, als die wirkliche Natur sich dem Auge zeigt. Daß
aber diese Abweichung im Zweck der Veranschauli-
chung tieferer Kunstideen dem unbefangenen Blicke
gar nicht ausfällt, dieser Umstand dient zum Beweise, daß
die Kunst trotz solcher Osfcnbarung das Maaß der
natürlichen (?) Geheimhaltung solcher Ideen durch sich
selbst herzustellen wußte. Bei dem in Rede stehenden
Bilde ist die Auffassung und Behandlung der Kürpertheile der
beider heiligen Männer sehr bemerkenswerth. Die gründliche
anatomische Kenntniß, welche sich hier zu erkennen giebt, bildet

eine lebensvolle Grundlage, deren Mechanismus auf
das Charakterischste in Bewegung gesetzt ist. Der
Lebenssinn dieser Bewegung erhält durch die malerische
Behandlung der welken Haut, welche in ihrer schlaffen
Eigenwilligkeit den darunter befindlichen Knochen,
Bändern und Sehnen bei ihren Erregungen das be-
redtsamste Wort leiht, eine Verdeutlichung, die um
so interessanter ist, als das individuelle Wesen
dieser Gestalten(?)nach charakteristischer Gewohnheit,
der Haut bereits jene Züge eingegraben, in deren
momentanen Veränderungen sich die Zeichen er-
kennen lassen, die das vergangene Leben mit der
Gegenwart einheitlich verknüpft" (verknüpfen?). Wenn
man diese mystische Verschlingung der einzelnen, stets in nebelhafter
Unbestimmtheit schwimmenden Gedanken betrachtet, so könnte
man auf die Vcrmuthung kommen, daß der Verf. dem Princip
Talleyrand's huldige, daß die Sprache dem Menschen gegeben
sei, nicht um seine Gedanken auszudrllcken, sondern um sie zu
verbergen, oder daß er der Ansicht sei, seine Kritik müsse, um
bedeutend und inhaltsvoll zu sein, dasselbe Gepräge der „Ver-
heimlichung" — „Schweigsamkeit" wäre in diesem Falle wohl
nicht der richtige Ausdruck — tragen, welches er als das Haupt-
merkmal der künstlerischen Meisterschaft betrachtet. Aber dies
wäre wohl doch ein ungerechter Vorwurf; vielmehr ist es nur
die ans dem Mangel vollständiger Begriffsklarheit entspringende
Unbeholsenheit der Darstellung, welche sich in dieser dunkeln
Uinständlichkeit tuudgiebt. Denn auch vom rein grammatischen
Gesichtspunkt ans betrachtet, leidet die Sprache des Verfassers
oft an einer ermüdenden Unbeholsenheit, namentlich durch die
Einschachtelung von abhängigen und Relativsätzen, z. B. S. 192:
„Will man in der Malerei den Ausdruck „Technik" gelten lassen,
da sie sich doch immer mit Geist und Empfindung der Er-
scheinung zuwendet, n m ihren Ideen auf die Spur zu kommen,
die zur Schönheit sichren, deren Offenbarung ihr Hauptzweck
ist, so ist die Technik u. s. f.".

Wir treten nun dem stubstanziellen Inhalt des Buches, jedoch
noch immer im Zusammenhänge mit den oben gerügten Mängeln,
näher. Hier hätten wir nun Mancherlei zu erinnern, theils
geradezu Irriges, theils Uebertriebenes. Wenn er z. B. die
Grazie dahin definirt (S. 112), daß „das Wesen derselben in
einem gewissen schüchternen Ausdruck der Verbindlich-
keitberuhe, deren schamhafte Zurückhaltung der Beobach-
ter, wenn auch unbewußt, so gern aus seine persönliche Wir-
kung bezieht", so weiß man in der That nicht, was man von den
ästhetischen Grundbegriffen des Verfassers denken soll. Also ein
sich ganz nnbelauscht glaubendes junges Mädchen, das etwa an
einem Bache Wasser schöpft, kann nicht graziös sein, weil kein
„Beschauer" für sie da ist, welcher „ihre schamhafte Zurückhaltung
auf seine persönliche Wirkung bezieht"? Im Gegenthcil: die
wahre Grazie ist unbefangen, ja unwillkürlich. Das, was Unger
darunter versteht, streift sehr nahe an Koketterie. Selbst Thiere,
denen man doch wohl kaum einen „schüchternen Ausdruck der Ver-
bindlichkeit", geschweige denn „schamhafteZurückhaltung" zumuthen
dürfte, können graziös sein; ein Windspiel z. B. oder ein Reh,
welches in leichten Sätzen durch den Busch eilt; mit einem
Wort: Grazie ist lediglich die Schönheit der Bewegung. —

Einer derjenigen ästhetischen Begriffe, von dessen allscitiger und
tiefster Begründung die kritische Anschanng des Verfasser's hätte
ausgehen sollen und den er deshalb von vorn herein hätte mit
völliger Klarheit entwickeln müssen, ist der Begriff des Stils.

Nachdem er fast auf jeder Seite seines Buches von Stil ge-
sprochen, und zwar diesen Begriff stets im Sinne des maleri-
schen Stils (im Unterschiede vom kompositionellen) gefaßt, giebt er
gegen den Schluß (S. 3 t 8) bei Gelegenheit emer Charakteristik
Menzel's eine Art Definition von Stil, indem er sagt: „Der
Stil ist die künstlerische Handhabe, mit der die in der wirklichen
Erscheinung versteckte Naluridee gefaßt und zur Anschauung ge-
bracht wird". Abgesehen von der sehr allgemein gehaltenen
 
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