Hat es nun noch einen Sinn, diese Grundfläche zu erhalten und ist es nicht konsequenter, die ihr unterge-
ordneten Satellitenteilchen zu vergrößern und selbständig zu machen? Es ist zwar möglich, aber nicht not-
wendig. Unter Wahrung einer Tragfläche sind fast unerschöpfliche Abwandelungen des Bildes denkbar.
Wenn der Maler das Notwendige tut, braucht er auch nicht zu wissen, wohin er gelangt. Andererseits ste-
hen einer rein räumlichen Malerei technische Schwierigkeiten entgegen, die in der Notwendigkeit beson-
derer Befestigung, d. h. letztlich in der Schwerkraft liegen. Der klassische festgespannte Bildträger kennt
sie nicht. Aber auch diese Behinderungen werden nicht ausschließend sein, und eine Raummalerei wird da-
her nicht allzulange auf sich warten lassen. Sollte dann das Wort Malerei fragwürdig geworden sein ange-
sichts solcher freier Baugebilde, wird das nur ein Hinweis auf den glücklichen Umstand sein, daß Malerei,
Plastik, Architektur, ohne sich je aufzugeben, auf dem Weg zur Vereinigung sind.
Der Reichtum der Bilder liegt nicht im Reichtum der Mittel, sondern im Reichtum ihrer Verwendung.
Das aber bedeutet Beschränkung und damit Ordnung. Einfachheit umfaßt auch die Komplikation. Die
Natur, stets die Quelle neuen Schöpfens, gibt uns den Hinweis: in jeweils individuellen Bereichen ist im-
mer alles gleich und alles anders. Die verschiedenen Dinge müssen auf Gleichheit und die gleichen auf Ver-
schiedenheit gebracht werden. Den Halt gibt die Ordnung, Variation die Lebendigkeit und Bewegung die
rhythmische Folge.«
Dieser Text benennt die Grundzüge des Kleint’schen Schaffens seit 1960, das gekennzeichnet ist durch
Einfachheit und Variation - darüber hinaus aber bringt er die Grundmöglichkeiten der Malerei dieser
Jahrzehnte überhaupt auf den Begriff.
Er bringt sie auf den Begriff: Nüchternheit zeichnet ihn aus, vergleicht man ihn mit anderen Künstlertex-
ten, die ähnliche Phänomene und Erfahrungen umschreiben. So heißt es etwa im Gründungstext dieser
künstlerischen Richtung, in Lucio Fontanas »Manifesto blanco« von 1946: »Die bewegte Materie bekundet
ihr totales Sein, indem sie sich in Zeit und Raum entfaltet und bei ihren Veränderungen verschiedene Sta-
dien der Existenz annimmt... Wir begeben uns in die Natur, wie es die Kunst in ihrer Geschichte niemals
getan hat . . . Unsere Absicht ist es, das ganze Leben des Menschen, das, an die Funktion seiner natürli-
chen Bedingungen geknüpft, eine echte Offenbarung des Seins darstellt, in einer Synthese zu vereini-
gen . . .« usf. 38
Ahnlich gestimmt sind die »Zero«-Manifeste. So lautet der Schluß von Heinz Macks Beitrag zum Katalog
Zero 1, April 1958 - der Schrift zur Ausstellung »Das Rote Bild (Bilder, deren bestimmende Farbe Rot
ist)«, an der sich auch Kleint beteiligte -: »Die Exklusivität einer vollständig gegenstandsfreien, dynami-
schen bildnerischen Struktur, in astronomischer Entfernung zur Natur, wird zum Ausdruck einer reinen
Emotion; sie präsentiert sich als eine neue Wirklichkeit, deren geheime Schönheit wir ahnen!« 39 Und Otto
Piene schrieb in seinem Artikel »Über die Reinheit des Lichts« (Zero 2, Oktober 1958): »Die Trübheit der
Farbe ist ein Ausdruck der Trübheit des Menschen, der Trübheit seines Bewußtseins im weitesten Sinne,
und die empfiehlt dem Beschauer ebenfalls den Zustand der Trübheit . . . Die Reinheit des Lichts, die die
reine Farbe schafft, die wiederum Ausdruck der Reinheit des Lichts ist, erfaßt den ganzen Menschen mit
ihrem Kontinuum des Flutens, des rhythmischen Hin- und Herströmens zwischen Bild und Betracher, das
unter bestimmten formalen Bedingungen zum zwingenden Pulsschlag, zu einer totalen Vibration wird ...
Die Mittel sind gefunden, der Malerei unter Beibehaltung ihrer Disziplin kraft des Lichtes so viel übersetz-
te Sinnlichkeit zu geben, daß sie aus der rationalen Deutbarkeit des Zeichenhaften in den Bereich der male-
rischen Schönheit tritt, in der der Weg des Geistes über die Sinne führt. Sie wird strahlende Fülle gewin-
nen, ihr Leuchten wird den Menschen treffen. Die Reinheit des Lichts wird sie befähigen, reine Empfin-
dungen zu wecken.« 40
Kleint konnte, bei ähnlichen Erfahrungen, in seinem Text soviel sachlicher sein, weil er nicht von Empfin-
dungen allein seinen Ausgang nahm, sondern auch von einer Fülle genauester phänomenologischer Analy-
sen, wie sie schon in seinen wissenschaftlichen Arbeiten von 1925 bis 1940 niedergelegt waren.
Das soll nicht heißen, daß auch die Werke in einer solchen Nüchternheit verbleiben, etwa nur Demonstra-
tionsobjekte phänomenologischer Untersuchungen wären. Im Gegenteil! Ihre Geist- und Gefühlsdimen-
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ordneten Satellitenteilchen zu vergrößern und selbständig zu machen? Es ist zwar möglich, aber nicht not-
wendig. Unter Wahrung einer Tragfläche sind fast unerschöpfliche Abwandelungen des Bildes denkbar.
Wenn der Maler das Notwendige tut, braucht er auch nicht zu wissen, wohin er gelangt. Andererseits ste-
hen einer rein räumlichen Malerei technische Schwierigkeiten entgegen, die in der Notwendigkeit beson-
derer Befestigung, d. h. letztlich in der Schwerkraft liegen. Der klassische festgespannte Bildträger kennt
sie nicht. Aber auch diese Behinderungen werden nicht ausschließend sein, und eine Raummalerei wird da-
her nicht allzulange auf sich warten lassen. Sollte dann das Wort Malerei fragwürdig geworden sein ange-
sichts solcher freier Baugebilde, wird das nur ein Hinweis auf den glücklichen Umstand sein, daß Malerei,
Plastik, Architektur, ohne sich je aufzugeben, auf dem Weg zur Vereinigung sind.
Der Reichtum der Bilder liegt nicht im Reichtum der Mittel, sondern im Reichtum ihrer Verwendung.
Das aber bedeutet Beschränkung und damit Ordnung. Einfachheit umfaßt auch die Komplikation. Die
Natur, stets die Quelle neuen Schöpfens, gibt uns den Hinweis: in jeweils individuellen Bereichen ist im-
mer alles gleich und alles anders. Die verschiedenen Dinge müssen auf Gleichheit und die gleichen auf Ver-
schiedenheit gebracht werden. Den Halt gibt die Ordnung, Variation die Lebendigkeit und Bewegung die
rhythmische Folge.«
Dieser Text benennt die Grundzüge des Kleint’schen Schaffens seit 1960, das gekennzeichnet ist durch
Einfachheit und Variation - darüber hinaus aber bringt er die Grundmöglichkeiten der Malerei dieser
Jahrzehnte überhaupt auf den Begriff.
Er bringt sie auf den Begriff: Nüchternheit zeichnet ihn aus, vergleicht man ihn mit anderen Künstlertex-
ten, die ähnliche Phänomene und Erfahrungen umschreiben. So heißt es etwa im Gründungstext dieser
künstlerischen Richtung, in Lucio Fontanas »Manifesto blanco« von 1946: »Die bewegte Materie bekundet
ihr totales Sein, indem sie sich in Zeit und Raum entfaltet und bei ihren Veränderungen verschiedene Sta-
dien der Existenz annimmt... Wir begeben uns in die Natur, wie es die Kunst in ihrer Geschichte niemals
getan hat . . . Unsere Absicht ist es, das ganze Leben des Menschen, das, an die Funktion seiner natürli-
chen Bedingungen geknüpft, eine echte Offenbarung des Seins darstellt, in einer Synthese zu vereini-
gen . . .« usf. 38
Ahnlich gestimmt sind die »Zero«-Manifeste. So lautet der Schluß von Heinz Macks Beitrag zum Katalog
Zero 1, April 1958 - der Schrift zur Ausstellung »Das Rote Bild (Bilder, deren bestimmende Farbe Rot
ist)«, an der sich auch Kleint beteiligte -: »Die Exklusivität einer vollständig gegenstandsfreien, dynami-
schen bildnerischen Struktur, in astronomischer Entfernung zur Natur, wird zum Ausdruck einer reinen
Emotion; sie präsentiert sich als eine neue Wirklichkeit, deren geheime Schönheit wir ahnen!« 39 Und Otto
Piene schrieb in seinem Artikel »Über die Reinheit des Lichts« (Zero 2, Oktober 1958): »Die Trübheit der
Farbe ist ein Ausdruck der Trübheit des Menschen, der Trübheit seines Bewußtseins im weitesten Sinne,
und die empfiehlt dem Beschauer ebenfalls den Zustand der Trübheit . . . Die Reinheit des Lichts, die die
reine Farbe schafft, die wiederum Ausdruck der Reinheit des Lichts ist, erfaßt den ganzen Menschen mit
ihrem Kontinuum des Flutens, des rhythmischen Hin- und Herströmens zwischen Bild und Betracher, das
unter bestimmten formalen Bedingungen zum zwingenden Pulsschlag, zu einer totalen Vibration wird ...
Die Mittel sind gefunden, der Malerei unter Beibehaltung ihrer Disziplin kraft des Lichtes so viel übersetz-
te Sinnlichkeit zu geben, daß sie aus der rationalen Deutbarkeit des Zeichenhaften in den Bereich der male-
rischen Schönheit tritt, in der der Weg des Geistes über die Sinne führt. Sie wird strahlende Fülle gewin-
nen, ihr Leuchten wird den Menschen treffen. Die Reinheit des Lichts wird sie befähigen, reine Empfin-
dungen zu wecken.« 40
Kleint konnte, bei ähnlichen Erfahrungen, in seinem Text soviel sachlicher sein, weil er nicht von Empfin-
dungen allein seinen Ausgang nahm, sondern auch von einer Fülle genauester phänomenologischer Analy-
sen, wie sie schon in seinen wissenschaftlichen Arbeiten von 1925 bis 1940 niedergelegt waren.
Das soll nicht heißen, daß auch die Werke in einer solchen Nüchternheit verbleiben, etwa nur Demonstra-
tionsobjekte phänomenologischer Untersuchungen wären. Im Gegenteil! Ihre Geist- und Gefühlsdimen-
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