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Eggers, Friedrich [Editor]
Deutsches Kunstblatt <Stuttgart>: Zeitschrift für bildende Kunst, Baukunst und Kunsthandwerk ; Organ der deutschen Kunstvereine &. &. — 8.1857

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https://doi.org/10.11588/diglit.1201#0368
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t'i

gewißheit-MMütherN. WERanhorhNüM der^Matt^tzen'
verwiAt sich hier eben sv'E aüderwarts die Gliederung der Stände,
obschon die eine eben so wenig als die Ändere" ein'e Anordnung kon-
ventioneller Wittkühr, sondern eine unvermeidliche Folge des Wesens
der Dinge ist; alle Genre werden jetzt für gleich vollgültig und eben-
bürtig angesehen. Ich sage nun freilich nicht, daß alle Gattungen
ihren Charakter verloren hätte,n; aber dieser,Charakter ist jetzt sehr
gemischt,, und durch die Menge.der gleichberechtigten Arten von
Kunstwerken ist die Bortyefflichbeit / sehr ungleich vertheilt. Die Kir-
chenmalerei besteht nur Noch als Nachahmung älterer Muster; die
Geschichtsmalerei im alten Sinne des Wortes ist dem Verscheiden
nabeda^ Portra^jDW)Meine Portrait, .fvvrur sicst.

nur^eine^berflächliche, obgleiAjhei'D.^ztt errathende. Aehnlichkeit -mit
der dargestellten Person zeigt — ist beinahe'ebenso nmfängreich, wie
die menschliche Eitelkeit; das eigentliche Genre greift eroberungssüch-
tig immer weiter um sich, und sagt mit Cäsar in jeder Beziehung':'
soll man Unrecht thun, so sei es um die Herrschaft. Die Land-
schaft entwickelt stärker als je den eingepflanzten Trieb, in die Höhe
und BKH zu -.wachsen. Die Erde ist.meine Mutter, dachte.Justins
Brutus und denkt die heutige Landschaftsmalerei. Sie fällt, so lang
sie ist, nieder, sie zu umarmen, und wird die Schutzstätte der Zeiten
und Menschen ohne Glauben , die sich in den Schoost' der gesühl-
und sprachlosen'Natur bergen, um 'kein klar und bündig abgefaßtes
Credo^'herzusägen. ' Die Thiere, die Blumen und Früchte können bei'
diesem allgemeinen Naturkultus nicht wohl ohne den gehörigen Än-
theil der Verehrung- bleiben; auch, werden sie von vielen Malern
mit der sorgsamsten Liebe und. Pietät behandelt. Die Bildhauerei
ist dagegen nur noch eine vernachlässigte Tradition, mühsam gehegt
und gepflegt bloß von einigen verstockten Heiden, die noch an Phi-
dias und die alten Götter Griechenlands denken 2000 Jahre nach
>risti Erscheinen.

ein Wilddieb oder ein Abraham, eine Gerümpelkammer oder eine
olympische Festhalle? • H

Was die Ungewißheit steigert, ist, daß die ^KaUst HÄkzutage
keine reelle Bestimmung mehr hat; sie besteht als Dilettantismus
und läuft neben dcm Leben her, ohne sich damit zw vermengen. Der
gute Bürgersmann im Mittelalter., der sich im Heiligenbild malen

Naturalismus und Phantasie streiten'sich .um die Künstler in
beinahe gleicher Anzahl; dabei bersteht es Jeder nach seiner Weise
und seinem Gefallen; keine Schule, keine feste Lehre, keine eingehal-
tene . Richtung mehr. Weder Meister, noch Schüler. Man thut
sich, je nach seinen Verwandtschaftßbeziehungen und Privatgeschmacke,
in kleine Sterngruppen zu dritt oder viert zusammen, aber bloß zu-
fällig und ohne besonderliche Ehrerbietung vor dem Centralgestirn;
überdies keine Treue, keine dauernde Gemüthsstimmung. Der Schü-
ler, wenn er die Schule verläßt, hat schon wie Petrus dreimal sei-
nen Gott verläugnet, ehe noch der Hahn gekrähet. Man gebe
diesen Betrachtungen nicht den grämlichen Sinn, den sie nicht haben;
sie sind keine Litanei über die böse Zeit, worin wir leben; ich mä-
kele und krittele nicht, ich sage, was ist, und will gleich sagen, warum
es ist.

Anerkanntermaßen ist'die alte Weltordnung in Europa über-
haupt und in Frankreich, insbesondere durch die Revolution von
1789 zu Grunde gegangen. Die .'Gedanken, ' wovon die Menschen
viele Jahrhunderte gelebt haben, verschwinden langsam, auch wenn
ihr Reich vorüber ist, 'da ja das Heidenthum,. trotz des Eintrittes
einer verdrängenden Religion, und einer neuen Kultur,, in unseren
Künsten, Sitten und Gebräuchen, noch sortlebt,. und die Namen her
längst abgeschafften Götter noch immer, unsere Monate und Tage
bezeichnen.- Die Kunst verfügt jetzt nur über todte Ideen und For-
meln, die- ihren Bedürfnissen nicht, mehr entsprechen. Daher die
Unruhe, das. Zerfahrene, der.-Hang zum Ueberspringen von einem
'Extrem - ins andere.,-, detz. Eklectichsyiusä .Kosmysolitismus-, das
Reisen.-und. Mandern in , alle mögliche Welten hinein, das.Kchchom
Byzantinisch-Typischen..bis zum Daguerreotypischen, von absichtlicher
Geziertheit bis zw vMMsicher Derbheit- erstreckt. MawMblt, dH
Etwas zu machen ist, aber was? Ein Waschweib oder eine Titania,

ließ, hing es bei stimm Bette auf und verachtete davor sein Wür-
gen- und Abendgebet. MUKirchen, Paläste, und'Privathäuser waren
voll von Malereieil, die zur Ausschmückung und Ausmöbelirnng ge-
hörten. Zwar giebt es in Paris nod; Herrenhäuser, die mit einem
großen"Reichthum von Kunstschätzen prangen; doch sind dies seltene
.Ausnahmen, und selbst unter den prächtigsten fänden, sich kaum sie.-,
ben oder acht, wo die Decken und. Wände, bemalt sind. Die heutige :
französische Kunst, die bloß von 'Regieruistgsanfträgen und Portraiten
lebt, da sie nur so aufs Gerathewohl hin vereinzelte Werke, ohne
seststwrherbestistimte Gegenstände und Plätze, liefert, ist beständig
unschlüssig über den Weg, den sie einhalten soll, und verschmachtet
wie Buridans' Esel vor Hunger zwischen zwei gleich vollen Maß

Hafer- : ^

Sind wir eine Abenddämmerung oder ein Morgenroth? Ich
weiß es nicht; nur so viel meine ich an allerlei Symptomen zu
erkennen, daß die Zeit in schMren Killdesnöthen liege,' "schmerz-
lich harrend einer neuen Geburt'. Vorläufig, bis das Kind. aus.die
Welt gekommen, bringt Jeder seine eigene Individualität an den
Tag; in Ermangelung gemeinsamer Gedanken treten einzelne Ansich-
ten, Bestrebungen und Träume hervor; man probirt, studirt, tastet
umher, greift zu den Rezepten dcr Vergangenheit und verschreibt
neue. Wenn der Kopf schwankt, so gewinnt die Hand mehr Festig-
keit und Sicherheit; die fertige Prans wird ein Erbstück aller, eine
Art von gemeinsamen Pfunde, womit oft glücklich und einträglich
gewuchert, leider auch geschachert wird; ein ganz unbeholfener Stüm-.
per, ein Mensch ohne alles Savoir faire ist unter-ben Pariser Künst-
lern ein seltener Vogel, und. wenn, alle diese handfesten Praktiker
etwas aus dein Grunde des allgemeinen Bewußtseins ihrer Nation
und Zeit sich Regendes und Bewegendes vorznstellen hätten, so
würden sie es ganz leidlich-abbilden, so daß . Jedermann sich davon
getroffen fühlen könnte.. <

Man darf mit den Künstlern nicht hadern , über diese zerrissene
Mannigfaltigkeit, die sich in keine Klassenordnnng fügt. Beider
großen Jdeenjagd unserer Zeit sind die Künstler die im Walde ver-
theilten Treiber, sie klopfen auf die Büsche, um das Wild aufzustö-
bern, und. wenn MnrdurchMgig die Fährte verliert, so hat man
wenigstens lachende Fluren, schattige Gehölze und romantische Thä-
ler durchstreift. Wer wird den Hasen im Lager treffen? Das läßt
sich nicht Vorhersagen, und überhaupt nicht eher vermuthen, als bis
die Zeit selbst weiß, wo er im Pfeffer liegt.

Es dürfte von Niemandem bestritten werden, daß, wenn die
große Kunst im Allgemeinen immer tiefer sinkt, die kleine Kunst im
Durchschnitte gestiegen ist. Die diesjährige Ansstellung, wo die vor-
nehmsten Großmeister, Couture, Ary Scheffer, Eugene Delacroix,
Ingres, nnd,,.auch,Mehrere,$ax, .berühmtesten Kchinmeiper» Als Des-
camps,,. Diaz, Troyon u. A. ganz fehlen, hält sich doch tapfer genug,
um vor den Fremden mit Ehre zu bestehen. Sie ist gegen jede
ähnliche jährliche Ausstellung in London oder in Berlin, Dresden
undiandern deutschen Hauptstädten sehr reichhaltig und.anziehend.
Man sieht , unter den kleinen. Sachen manche von achtem Kunstwerthe,
und mich dünkt, aus allen den hier zerstreuten Kräften und Talen-
ten ließe sich eine.stattliche Garbe binden; nur fehlt das Band. Bei
jeder Ausstellung wird ganz unnütz eine Masse, von Farbe.,/Erfin-
dungsgabe und Künstler.latlne vergeudet, die ' zweckmäßig verbraucht
und angewendet, vollkommen hinreichend wäre, aus Paris, eine Pracht-
stadt zu machen. Die meisten hiesigen Kirchen sind...nackt.wie der
 
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