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Deutsches Kunstblatt: Literaturblatt des Deutschen Kunstblattes — 3.1856

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Donnerstag, den 13. November.

1836.

Inhalt: Hedwig die Waldenserin. Novelle von H. König. — Zur Frage vom geistigen Eigenthum. — Zeitung.

Hedwig die Waldenserin.

Eine Novelle v. H. König. In zwei Theilen. Zweite durchaus veränderte
Auflage des Romans „die Waldenser." Leipzig, Brockhaus.

Es müßte interessant und belehrend sein, eine Palingenesie, wie
das vorliegende Buch, mit seiner früher» Gestalt, gleichsam den
neugebornen Vogel Phönix mit dem verbrannten zu vergleichen, den
Wandlungen, Fortschritten und Selbstverdammungen des Dichters
mit liebendem und richtendem Auge nachzuforschen. Leider aber
bewahrt unser treuloses Gedächtniß nur ein dunkles Bild, als hätten
wir schon einmal den Ritter Manegold sein Schwert gegen die
Ketzerrichter zücken sehen, — und dann wäre es die Frage, ob der
Verfasser solche Untersuchung überhaupt wünschenswerth finden
möchte. Wenn irgendwo, so ist hier das Urtheil in eigner Sache
erlaubt und ohne Appell; der Roman „die Waldenser" ist todt und
vor Publikum und Kritik steht „Hedwig", die Novelle.

Verschweigen wollen wir indessen nicht, daß manche sorglich
angesponnene, dann aber abreißende und gar nicht oder doch nur
flüchtig wieder aufgenommene Fäden (z. B- daö Damascenerschwert,
das Ritter Conrad von der „Hexe" Wilwirk erhält, der Handelsherr
Butterkratz und anderes) uns nicht ohne den Eindruck gelassen haben,
als seien sie Reste von einem größern und nun ins Engere gear-
beiteten Ganzen, und an diesem entweder zu viel oder zu wenig ge-
kürzt worden.

Im Stoff hat ohne Zweifel der begabte Verfasser, wie öfters,
einen sehr glücklichen Griff gethan. Nicht nur, daß fanatische Ver-
folgung gegen unterdrückre Fromme, die im Stillen einen neuen
Glauben pflanzen und pflegen, überhaupt ein höchst dankbarer, und
eben so dramatisch conflictenreicher als psychologisch interessanter
Vorwurf ist; derselbe gewinnt auch eine höchst lebendige historische
Verkörperung in jenem Konrad von Marburg, dem früher« Beichti-
ger der heiligen Elisabeth von Thüringen, der mit dem Scheermesser
der Buße, wie mit der Brandfackel bewaffnet, durch's deutsche Land
zieht, mit glühendem Eifer selbst Fürsten und Herren nicht anzu-
tasten scheut, und schließlich durch Rächerhand ein jähes Ende findet.
Dazu kommt noch ganz besonders, daß der Hintergrund der später»
Hohenstaufenzeit, mit seinen tiefen Riß zwischen geistlicher und welt-
licher Macht, seinen mächtig auftauchenden freisinnigen Ideen, seiner
entschiednen geistigen Verwandtschaft mit später«, uns näher und
Nächstliegenden Epochen eben so reiche, als seltene Gelegenheit giebt,
an das Historisch-Zufällige das Allgemein-Menschliche nicht nur, son-
dern auch das Unmittelbar-Gegenwärtige poetisch anzuknüpfen. Das
letztere, sonst zum Nachtheil der echten poetischen Wahrheit oft nur
zu sehr von neuern Romanschreibern und Dramatikern gesucht, bot
sich hier fast von selbst, und man darf natürlich von Heinrich König
erwarten, daß er sich diesen Vortheil nicht wird haben entgehen
lassen. Wie er ihn ausgebeutet, davon nachher.

Was aber zunächst das Romanverhältniß betrifft, daß er auf

Literatur-Blatt.

diesem günstigen historischen Fundament aufgebaut, so können wirihm den
Vorzug reichfarbiger Abwechselung, frischen dramatischen Lebens nicht
absprechen, ohne daß dabei von einem Zuviel, oder von eigentlich
gesuchtem Effekt die Rede sein könnte. Der Charakter der stürmisch
bewegten Zeit erträgt, ja fordert eine gewisse Ueberfülle von Hand-
lung, fordert consequent auch eine bunte Mannichfaltigkeit der han-
delnden Personen. So sind auch die letzter«, um diese Anerkennung
schon jetzt voranzuschicken, in der Mehrzahl sehr annehmbar und zeit-
gemäß angelegt, und was wir an ihnen vermissen, ist, malerisch zu
reden, weniger die Nichtigkeit der Contoure, als die der Farbe und
rundenden Modellirung.

Auch ans den etwaigen Vorwurf mangelnder Neuheit in Si-
tuationen und Persönlichkeiten möchten wir kein allzu großes Gewicht
gelegt haben. Alles wiederholt sich nun einmal im Leben, also auch
in seinem Spiegel, dem Roman, und so wenig Entführungen, von
zufälligen Rettungen gekreuzt, so wenig nächtliche Versammlungen
verfolgter Frommen, Ketzerpredigten und Scheiterhaufen etwas Neues
und Unerhörtes sind, so müssen wir sie doch hier theils als noth-
wendige Conscqnenzcn des Stoffs, theils als specifisch charakteristi-
sche Merkmale der Zeit, gleichsam zum Costüme gehörig anerkennen.
Was uns ungleich bedenklicher erscheint, ist die sich aufdringende
Bemerkung, daß gerade die beiden wesentlichsten Ver- und Entwick-
lungen durch ein und dasselbe unsäglich verbrauchte Mittel, verbun-
den mit einer starken Dosis Uuwahrscheinlichkeit herbeigesührt werden.
Wir meinen die Situation, wie zuerst das entführte und gerettete
Edelfräulein im Schlosse ihres unbekannten Retters die Waldenser-
versammlung belauscht, — wodurch sie nämlich wesentlich und
einzig in die Gefahr geräth, als Anhängerin dieser Secte zu gelten
— und wie dann ebenso der gedachte Retter, der alte Ritter Lan-
genschwarz die Geheimnisse ihres Entführers auf dessen eignem
Schlosse zu belauschen Gelegenheit findet, — wodurch letzterer dann
unmittelbar zur Denunciation gegen den frommen Greis veranlaßt
wird. Abgesehen davon, daß das Horchen ebenso ästhetisch abge-
nutzt, als moralisch mißlich ist, so scheint es uns in beiden Fällen
nur durch den — Bedarf des Verfassers erklärlich, daß Beide Be-
lauschte, der Eine seine verbotne Andacht, der andre seine Pläne
voll Tücke und Felonie nicht sorglicher sollten versteckt gehalten ha-
ben. Sicher war es für den Bau des Buches nothwendig, daß
Hedwig von Köttschau unter die Waldenser gerieth, brauchbar wenig-
stens vielleicht, daß Graf Berthold (der Entführer) einen Grund
mehr zum Groll gegen Langenschwarz erhielt, aber wir glauben, daß
besonders das Erstere sich in andrer Weise hätte herbeiführen lassen.

Ein noch größeres Bedenken aber knüpft sich uns an die eigent-
liche Catastrophe. Wir haben in der Sache gar nichts dagegen, daß
Manegold von Dörnbach den bösen Ketzerrichter erschlägt, und die
Motive sind nicht gespart, den leichterregten jungen Edelmann dazu
zu treiben. Aber nicht nur, daß die That viel zu lange vorher

überlegt und beschlossen wird, sie gewinnt auch ein ganz anderes

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