Möglichkeit und Ziele einer neuen Architektur.
143
Raserei des Formgenusses gekostet, wer
nie vor einer Form, etwa einer Baumwurzel
Bruckner-Plakette.
TAUTENHAYN jr.
oder der Biegung eines Blüthenblattes sich
selbst und Alles vergass, der weiss nichts
von Formenschönheit und hat kein Recht
über unsere Fragen zu reden.
Ein ausgebildetes verfeinertes Form-
gefühl ist die
Grundvor-
aussetzung
alles archi-
tektonischen
Schaffens,
und das kann
man nicht
intellektuell
erlernen; das
eifrigste Stu-
dium ver-
gangener
Kunst-
schöpfungen
und der Na-
tur führt zu
nichts, ausser
mangewöhnt
sich daran,
jeder Form gegenüber sich klar zu werden,
was einem an ihr gefällt und was nicht.
Plakette.
RUD. BOSSELT—PARIS.
Fort mit dem Sehen in Bausch und Bogen.
Seht das Einzelne, Linie für Linie, Fläche
für Fläche, geht den Formen mit dem Auge
nach, tastet sie ab, erlebt sie, geniesst sie,
erst dann werdet ihr begreifen was sie uns
sein können. Und seid ehrlich, wagt es zu
sagen: »dies gefällt mir und jenes nicht«,
macht niemals Halt vor einem grossen Namen
oder gar vor dem kläglichen Dogma, dass
die Natur nur Schönes bietet. Das ist eine
Lüge. Unendliche Schönheiten birgt sie,
Plakette.
KIM). BOSSFXT- PARIS.
aber nur im einzelnen, fast immer vernichtet
durch nicht dazu Gehöriges. Und wollt ihr
Schönheit erfassen lernen, so müssen eure
Augen so fein werdeji, dass ihr ohne weiteres
das Schöne auch im kleinsten Detail heraus-
fühlt, und das Störende ausscheidet. Urtheilt,
sagt eure Meinung, es ist besser ihr irrt in
Ehrlichkeit, als dass ihr feige Anderen grosse
Worte nachbetet, von denen euer Herz nichts
weiss. Lasst euch ruhig anmassend und
arrogant schelten, wenn ihr alte Berühmt-
heiten tadelt. Ihr sollt tadeln, sollt hassen,
denn nur so lernt ihr lieben, lernt ihr mit
ganzer Seele fühlen. Dann kommt ihr auch
eines Tages dazu, die Qualitäten eines Ver-
gangenen zu schätzen, der euch erst abstiess.
Aber euer Urtheil wird dann gerechter sein,
als das der Feiglinge, der Jünglingsgreise,
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Raserei des Formgenusses gekostet, wer
nie vor einer Form, etwa einer Baumwurzel
Bruckner-Plakette.
TAUTENHAYN jr.
oder der Biegung eines Blüthenblattes sich
selbst und Alles vergass, der weiss nichts
von Formenschönheit und hat kein Recht
über unsere Fragen zu reden.
Ein ausgebildetes verfeinertes Form-
gefühl ist die
Grundvor-
aussetzung
alles archi-
tektonischen
Schaffens,
und das kann
man nicht
intellektuell
erlernen; das
eifrigste Stu-
dium ver-
gangener
Kunst-
schöpfungen
und der Na-
tur führt zu
nichts, ausser
mangewöhnt
sich daran,
jeder Form gegenüber sich klar zu werden,
was einem an ihr gefällt und was nicht.
Plakette.
RUD. BOSSELT—PARIS.
Fort mit dem Sehen in Bausch und Bogen.
Seht das Einzelne, Linie für Linie, Fläche
für Fläche, geht den Formen mit dem Auge
nach, tastet sie ab, erlebt sie, geniesst sie,
erst dann werdet ihr begreifen was sie uns
sein können. Und seid ehrlich, wagt es zu
sagen: »dies gefällt mir und jenes nicht«,
macht niemals Halt vor einem grossen Namen
oder gar vor dem kläglichen Dogma, dass
die Natur nur Schönes bietet. Das ist eine
Lüge. Unendliche Schönheiten birgt sie,
Plakette.
KIM). BOSSFXT- PARIS.
aber nur im einzelnen, fast immer vernichtet
durch nicht dazu Gehöriges. Und wollt ihr
Schönheit erfassen lernen, so müssen eure
Augen so fein werdeji, dass ihr ohne weiteres
das Schöne auch im kleinsten Detail heraus-
fühlt, und das Störende ausscheidet. Urtheilt,
sagt eure Meinung, es ist besser ihr irrt in
Ehrlichkeit, als dass ihr feige Anderen grosse
Worte nachbetet, von denen euer Herz nichts
weiss. Lasst euch ruhig anmassend und
arrogant schelten, wenn ihr alte Berühmt-
heiten tadelt. Ihr sollt tadeln, sollt hassen,
denn nur so lernt ihr lieben, lernt ihr mit
ganzer Seele fühlen. Dann kommt ihr auch
eines Tages dazu, die Qualitäten eines Ver-
gangenen zu schätzen, der euch erst abstiess.
Aber euer Urtheil wird dann gerechter sein,
als das der Feiglinge, der Jünglingsgreise,