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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 1.1897-1898

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Fuchs, Georg: Melchior Lechter
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https://doi.org/10.11588/diglit.6384#0206
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i8o

Georg Fuchs:

Hier, wie auf allen Werken Lechter's,
welche menschliche Figuren enthalten, fällt
die überlange und überschlanke Gestaltung
der Gelenke und Hände auf. Vielleicht lässt
sich diese Bildung nicht immer rechtfertigen.
Im allgemeinen jedoch muss man festhalten,
dass die Hände ein sehr wesentliches Aus-
drucksmittel sind, im Leben wie in der Kunst,
nur dass sie in dieser anderes auszudrücken
haben, als in jenem. Sie bedeuten im Werke
oft einen wichtigen Abschluss, einen Mittel-
punkt der kompositorischen Uebergänge, ja,
wie im »Orpheus«, die höchste Ausstrahlung
des Ganzen. So wenig sich ein alter Meister,
oder ein Arnold Böcklin vor einer »Ver-
zeichnung« scheute, wenn er durch dieselbe
ein kräftigeres Mittel des Ausdruckes oder
eine Verbesserung der sinnlichen Erscheinung
seines Bildes gewann, so wenig lässt sich
Lechter darein reden, wenn er Pflanzen-
formen oder Hände oder sonst ein der Er-

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Buch- Umschlag.

scheinungswelt entlehntes Symbol so weit
umdeutet, stärkt oder verfeinert, bis es das
ausdrückt, was es im Werke ausdrücken
soll. Denn — dieweil der herrschende Kunst-
und Literaturgeschmack heute das Gegen-
theil annimmt, sei es überflüssig bemerkt -
die Werke der Kunst stellen nichts dar und
stehen zu den Dingen der Welt nicht im
Verhältnisse des Konterfey's, sondern sie
sind für sich und durch sich.

Da man dies so oft vergass, hat man,
obzwar Lechter's Glasgemälde, Möbel und
Bücher schätzend, zu dessen Bildern meist
kein rechtes Verhältniss finden können.

Es ist unmöglich, in Worten das kolo-
ristische Wesen der Oelgemälde Lechter's
auch nur andeuten zu wollen. Es muss bei
der grundsätzlichen Angabe sein Bewenden
haben, dass Lechter über den eigentlich
»farbigen« Karakter, der wohl in den Werken
Böcklins seine höchste moderne Vollendung
feierte, hinaus trachtet nach einer
glühenden Wirkung. Wie die
alten deutschen Meister nach
durchsichtiger Klarheit der Far-
beng'ebung strebten, und wie
die Geschichtschreibung ihrer
Werke Werth nach dem Grade
der in ihnen erreichten Klarheit
und Durchsichtigkeit abzustufen
pflegt, so könnte die Gluth der
Farbentöne für die moderne
koloristische Schule als Ent-
wickelungsziel aufzufassen sein.
Ihr Stil scheint vorzüglich darauf
zu beruhen, dass zunächst ein
voller Akkord der Farben-
wirkungen im Bilde erreicht
wird und dass sodann diesem
Akkorde, dieser »Dominante«
eine immer stärkere Kraft und
Wärme eingehaucht wird bis
zum höchsten Eindrucke lodern-
den Brandes oder tiefer, ge-
sättigter Gluth. Nach dem wich-
tigen Gesetze von der Kontrast-
Wirkung in der Kunst bedingt
diese Steigerung der dominiren-
den, leuchtenden Töne anderer-
seits eine Verfeinerung und

MELCHIOR LECHTER.
 
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