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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 7.1900

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Volbehr, Theodor: Die Kunst-Geschichte und das Verstandniss für die neue deutsche Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.6699#0334

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302

Theodor Volbehr—Magdeburg.

DIE KUNST-GESCHICHTE UND DAS VERSTANDNISS
FÜR DIE NEUE DEUTSCHE KUNST.*)

C ^^S^^^SäS ichts stemmt sich der
1 v ^^v^slO^ Entfaltung einer künst-
^ lltk/YV fe^^ lerischen Kultur in
^ij-^-^^J/ Deutschland so erfolgreich
yjT~Z~ \ entgegen als die Selbst-Ge-
J«^«^^^%. fälligkeit des Geschmacks-
r_^^^^^f\J Urtheils des gebildeten
Publikums. Jedesmal, wenn eine Künstler-
Persönlichkeit es wagt, ihre Gedanken und
Empfindungen in eigenartiger Weise zum
Ausdruck zu bringen, dann hallen die Kunst-
Ausstellungen von der fröhlichen Heiterkeit
und der empörten Kritik zahlreicher Besucher
wider; dann schwirren die Schlagworte von
den Aufgaben der bildenden Kunst durch
die Luft, man hört die herrischen Worte:
»Die Kunst soll!« — oder »Die Kunst soll
nicht!« — und die Räume, die dem fried-
lichen Wettstreit der Künste geweiht schienen,
sind von den leidenschaftlichen Kampf-
Gesprächen der Beschauer erfüllt.

Welches sind die Gründe für diese eigen-
artige Erscheinung? So seltsam es klingen
mag: einer der wesentlichsten Gründe ist
unsere heutige kunstgeschichtliche Bildung.
Wir fühlen uns so gesättigt von kunst-
geschichtlichem Wissen, dass wir glauben,
kraft dieses Wissens treffliche Kenner und
Beurtheiler zu sein. Wir haben so viel ge-
sehen, und zwar unter historischer Führung
gesehen, dass wir unserem Gedächtniss eine
grosse Zahl von Kunstwerken anvertrauen
konnten, die für uns gewissermaassen Re-
präsentanten aller denkbaren künstlerischen
Ausdrucksweisen sind. Unwillkürlich grup-
piren sich diese Werke der Kunst in be-
stimmte Rubriken und werden so — ohne
dass wir etwas Derartiges beabsichtigen —
zu einer Art Gesetzessammlung für unser
ästhetisches Urtheil. Tritt nun ein Künstler
von starker Subjektivität auf den Plan und

*) Die nachfolgenden Ausführungen bilden die Ein-
leitung eines Buches von Dr. Theodor Volbehr, das so-
eben im Verlage von Eugen Diederichs—Leipzig unter dem
Titel »Das Verlangen nach einer neuen deutschen Kunst.
Ein Vermächtniss des achtzehnten Jahrhunderts« erscheint.

schafft ein Werk, das in keine der Rubriken
unseres kunsthistorischen Gedächtnisseshinein-
passt, das wohl gar im Widerspruch zu den
uns bekannten Darstellungen gleicher und
verwandter Probleme steht, dann haben wir
naturgemäss die Empfindung, als werde den
Maassstäben unseres historisch-ästhetischen
Urtheils ein Schnippchen geschlagen und als
sei dieser Widerspruch eine absichtliche Auf-
lehnung gegen allgemein gültige Regeln.

Erregbare Gemüther, die zur Kunst der
Vergangenheit ein besonders intimes Ver-
hältniss haben, fühlen sich durch derartige
Werke in ihren Kunst-Anschauungen geradezu
beleidigt und können durch die stille Atelier-
Arbeit eines nach neuen Ausdrucks-Formen
strebenden Künstlers bisweilen zu maass-
loser Heftigkeit entflammt werden.

Und doch könnte die Kunstgeschichte
lehren, dass jedes Werk, das einem anderen
bereits geschaffenen Werke gleicht, eine
minderwerthige Leistung ist, denn es ist die
Leistung des Nachahmers, des künstlerisch
unter der Vormundschaft einer grösseren
Persönlichkeit Stehenden. Wir haben gelernt,
Michel-Angelo zu begreifen und Rembrandt
zu geniessen und einzusehen, dass ihre Eigen-
art ihre Grösse ausmacht. Ja, wir haben
sogar gelernt, dass es eine unumstössliche
Wahrheit ist, dass die künstlerischen Wort-
führer verschiedener Zeitalter völlig ver-
schieden schaffen mussten, dass die Zeiten
eines Dürer unmöglich einen Watteau hervor-
bringen konnten und die Zeiten eines Watteau
ebenso unmöglich einen Dürer; wir wissen
sogar, dass zu denselben Zeiten unter deutschen
Verhältnissen eine andere Kunst entstehen
musste als unter italienischen Einflüssen; aber
alles das ist für uns ein historisches, ein
rückwärts gewandtes Wissen. Wir haben
es noch nicht gelernt, daraus die Konsequenz
zu ziehen, dass dann auch die Kunst der
Gegenwart anders sein muss als die Kunst
jeglicher Vergangenheit, dass dann auch die
Kunst im neuen Deutschland neu sein und
 
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