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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 13.1903-1904

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Ein deutsches Kunst-Ministerium
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https://doi.org/10.11588/diglit.7008#0234

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Gin deutsches Kunsf»minisferium,

Durch die Blätter geht die Nachricht,
dass der italienische Unterrichts-
Minister Nasi, der sich schon mehr-
fach, u. a. bei Gelegenheit der »Turiner
Ausstellung 1902« als ein Mann von Ver-
ständnis für künstlerische Zeitfragen erwiesen
hat, den Studien-Räten der Provinzen einen
Erlass hat zugehen lassen, in welchem er
ihnen eine erhöhte Pflege des künstlerischen
Elementes in der Schule ans Herz legte.
Der Minister führt darin sodann noch folgendes
aus: »Es ist meine Überzeugung, dass die
höheren Schulen keine vollständige Bildung
vermitteln können, ohne auch Kenntnisse
der Kunst in den Stundenplan einzubeziehen.
Die Notwendigkeit hierfür lag weniger vor,
als noch die Archäologie im Vordergrund
stand; heute hat das mächtige Emporblühen
der Studien über mittelalterliche und moderne
Kunst bewiesen, dass die Kunst eine soziale
Erscheinung ist, die sich wie die Literatur
und jede andere menschliche Betätigung je
nach dem Milieu besonders äussert und modi-
fiziert. Daher die Pflicht, in die Einheit des
Eehrplanes das aufzunehmen, was früher
einig war mit der höchsten Harmonie des
Lebens.«

Ganz entsprechend den Forderungen,
die wir stets vertreten haben, die Liberty
Tad so glänzend begründet und der »Kunst-
Erziehungs-Tag« so gründlich beraten hat,
legt der Minister nicht den Hauptwert auf
die Theorie und Geschichte der Kunst, son-
dern auf praktische Geschmacks-Ausbildung.
Er hat angeordnet, dass für alle höheren
Schulen ein Anschauungs- Material von
Abbildungen der vorzüglichsten Meister-
werke angelegt werden und gibt auch zu-
gleich die entsprechenden Winke zur zweck-
mässigen Benutzung derselben, indem er
ausführt: »Die Professoren der Literatur und
der Geschichte werden diese Meisterwerke
alsdann erläutern, bei jeder Gelegenheit von
der Geschichte der Kunst sprechen und
ihren Schülern von Zeit zu Zeit besondere
Vorträge halten, indem sie vor allem auf
die engen Bande verweisen, die unsere
Kunst-Geschichte mit allen anderen idealen

Strömungen der Kultur-Geschichte verbinden.
Gelegentliche Besuche der Galerien, Museen
und Monumente endlich mögen diesen Un-
terricht ergänzen und noch erspriesslicher
gestalten.« — Und bei uns? — Wollen wir
uns wirklich von den Italienern beschämen
lassen? — Man wird vom preussischen
Kultus-Minister nicht erwarten wollen, dass
er, wie sein italienischer Kollege, freiwillig
die Bürde eines »Ministere des Beaux-Arts«
auf seine Schultern nehme. Wenn irgend
Einer, so ist er ein von allzuvielem Vielerlei
überbürdeter Mann. In den anderen grösseren
Bundes-Staaten steht es ähnlich. Unsere
entwickelteren Verhältnisse verlangen ent-
schieden die Errichtung eigener Kunst-
Ministerien wenigstens für Preussen, Bayern
und Sachsen. Nachdem die Kunst aufgehört
hat, nur ein »Luxus« zu sein, sondern, wie
der italienische Minister ganz richtig bemerkt,
eine »soziale Erscheinung« von höchster
volkserzieherischer Bedeutung geworden ist,
rechtfertigt sich auch eine Behörde, welche
regelnd, fördernd und ausgleichend in die
sich fortgesetzt mehrenden Wechsel-Wir-
kungen zwischen Kunst und Leben, Ideale
und Arbeit eingreift. Es zeigt sich immer
mehr — z.B. bei internationlen Ausstellungen
— dass wir eine solche Zentrale als oberste
Ausgleichs-Instanz nicht mehr länger ent-
behren können.

Die Vorgänge, welche sich bei den Vor-
bereitungen zur Welt-Ausstellung in St. Louis
zwischen den Vertretungen der Künstler-
schaft, den preussischen Behörden und dem
Reichs - Kommissar abspielten, möchte doch
gewiss niemand wiederholt sehen und noch
viel weniger chronisch werden lassen. Die
künstlerische Erziehung unserer Jugend, ganz
besonders aber die Geschmacks - Pf lege in
den Mittel- und Volks - Schulen, bedarf
dringend sofortiger Reformen. Unsere kunst-
gewerbliche Industrie, welche durch den
internationalen Konkurrenz - Kampf ge-
zwungen ist immer höhere Anforderungen
an die Geschmacks-Bildung ihrer Zeichner
und ihrer Arbeiterschaft zu stellen, ist hieran
in höchstem Maße interessiert. Dass unsere,
 
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