Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 15.1904-1905

DOI Artikel:
Jaumann, Anton: Vereinfachen und Stilisieren, [2]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7137#0334
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Anton Jaumann :

J. V. cissarz—darmstadt. Aus dem Schlafzimmer.

ja Resultat und Ausdruck gewisser Kräfte.
— Das Ornament wird, bei einem gewissen
Grad des Reichtums und der Bestimmtheit
der Kräfte und Funktionen, denen es Form
verleiht, von selbst und unausweichlich
naturalistisch werden, d. h. Bildungen hervor-
bringen, welche wie Pflanzen oder Tiere
oder Teile von solchen aussehen. Eine
weitere Bereicherung und Steigerung führt
dann zur Landschaft, zur menschlichen Figur,
und auch diese können als Ornament im
gewissen Sinne aufgefasst werden.

Erinnern wir uns nun einmal, welche
Eigenschaften vom ästhetisch gebildeten Be-
schauer in einem Gemälde besonders gewürdigt
werden: Stimmungsvolle Farben-Zusammen-
330

Stellung, aparte Verteilung der Flecken,
persönliche Linienführung, monumentale
Massenwirkung usw. Alles so abstrakte
Eigenschaften, dass sie ebenso gut an Orna-
menten auftreten können wie am Bild. Wir
wissen auch, dass es möglich ist, Schwer-
mut im Ornament auszudrücken oder lustige
Ausgelassenheit und Ähnliches, und zwar
mit denselben Mitteln, mit denen der Maler
im Bilde jene Stimmungen erzielt. Selbst
die Zeichnung des menschlichen Antlitzes,
des Spiegels der Seele, unterliegt keinen

andern Gesetzen.....

*

Das Bild ist durch den Rahmen von der
übrigen Welt abgeschlossen, es ist eine Welt
in sich. Die Teile dieser Welt werden aber
nicht nur durch den Rahmen zu einer Ein-
heit zusammengefasst, sondern sie hängen
unter sich zusammen; sie sind nicht Punkte
neben Punkten, nicht Flecken neben Flecken,
sondern sie vereinigen sich zu einem Gesamt-
fleck: der ist allerdings in sich mannigfach
zerteilt und zergliedert, in der Farbe aufs
reichste geschieden und abgestuft, aber diese
ganze hohe Verschiedenheit ist nur die Diffe-
renzierung innerhalb einer Einheit. Dem
Bild ist diese geschlossene, einheitliche
Wirkung wesentlich, darum kann nicht ein
beliebiger Natur - Ausschnitt Bild werden.
Wahl muss sein und Komposition. Zola hat
von den Impressionisten gesagt, dass sie
von der Ansicht der Natur nichts wegnehmen
und nichts dazutun; »sie malten keine Kon-
struktionen«. Darin täuschte er sich sehr.
Kein Mensch sieht die Welt so, wie sie ist,
wir tun in der Tat alle in jedem Augenblick
eine Menge dazu zu dem, was unsere Augen
wirklich sehen; wir sehen mit Hilfe der
Phantasie. Und wir übersehen auch sehr
viel. — Noch viel mehr tut dies der Maler.
Schon dadurch, dass er nicht alles malt,
dass er gewisse Partien der wirklichen Welt
malt und andere als undankbar verschmäht,
und dass er einen Standpunkt auswählt und
eine bestimmte Beleuchtung, verhindert er
das Zustandekommen eines exakten Welt-
bildes. Aber auch die Impressionisten malten
nicht so, wie sie sahen, sie Hessen gar vieles
weg, sie malten manches frei, kurz, sie
 
Annotationen